Krank durch vieles Sitzen

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Sitzen ist das neue Rauchen – dieser reißerische Spruch geistert seit etwas mehr als zwei Jahren durch die Medien. Grund dafür sind Studien aus den USA, die das Gesundheitsrisiko von langem Sitzen darstellen. Doch Sie können etwas dagegen unternehmen.

Schon 60 Minuten am Stück zu sitzen ist schädlich für die Gesundheit. Das fand ein Forscherteam unter der Leitung von Saurabh Thossar in einer Studie an der Indiana University in den USA heraus – und sorgte dafür, dass so manch einer seine Alltagsgewohnheiten hinterfragt. Doch in zahlreichen Lebensphasen bleibt uns kaum etwas Anderes übrig, als am Schreibtisch zu kleben.

Wieviel wir sitzen

Es fängt schon in der Grundschule an. Eines der ersten Dinge, die Sechsjährige lernen müssen, ist das Stillsitzen über einen längeren Zeitraum. In den ersten Schuljahren wird glücklicherweise im Unterricht noch mehr gegangen, sei es im Zug eines Lernspiels oder um sich neue Materialien oder Bastelutensilien zu holen. Doch je höher die Klassenstufe, desto stiller wird gesessen. Ein Hoch auf die Pause – und auf diejenigen Schulen, die tatsächlich strikt darauf achten, dass selbst die Faulsten ihren Platz verlassen.

Und nach dem Abschluss? In der schulischen Ausbildung sitzen Sie vor den Fachdozenten. Im Studium sitzen Sie in Hörsälen und Seminarräumen. Beim Lernen sitzen Sie am Schreibtisch. Im Büro ebenso. Ganz zu schweigen von der Zeit, die Sie sitzend im Auto, Bus oder Zug verbringen.

Sitzen als Risiko

Dass Bewegung wichtig ist und zu wenig davon schädlich, wissen mittlerweile die meisten und haben sich damit abgefunden. Dass Sitzen allerdings so verheerend ist, schockiert dann doch ein bisschen. Die Wissenschaftler aus den USA belegen in ihrer Studie, dass bereits nach nur einer Stunde Stillsitzen die Funktion der Blutgefäße in den Beinen um 50 Prozent nachlässt. Sie dehnen sich kaum noch und lassen somit weniger Blut passieren. Auf Dauer kann es dadurch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen.

Noch drastischer sind die Ergebnisse einer weiteren Untersuchung mit über 123.000 gesunden Personen über eine Dauer von 14 Jahren. In der Studie von Dr. Alpa Patel und seinem Team zeigt sich, dass sich in der Gruppe der Männer, die am Tag mehr als sechs Stunden sitzen, eine um 20 Prozent höhere Sterberate findet, als bei denen, die weniger als drei Stunden sitzend verbringen. Bei Frauen sind es sogar 40 Prozent. Diese Zahlen sind völlig unabhängig davon, in welchem Umfang sich die Testpersonen zusätzlich noch bewegt haben.

Neben diesen beiden gab es noch weitere Studien, die alle zu ähnlichen Ergebnissen kommen: Zu viel Sitzen kann zu einem früheren Tod führen.

Zeit zum Umdenken

Damit wird ein wenig an unserem Weltbild gerüttelt. Als gesundheitsschädigend haben viele Menschen Berufe im Kopf, die körperliche Arbeit abverlangen. Ein Straßenbauarbeiter lebt grundsätzlich gefährlich, ein Friseur bekommt Probleme mit der Wirbelsäule vom vielen Stehen und ein Bäcker leidet irgendwann an Asthma aufgrund des Mehlstaubs.

Nun wird also auch das Sitzen zum Risiko. Unsere Betroffenheit liegt zum einen an der Zunahme von Schreibtischtätigkeiten, denen man sich kaum entziehen kann, zum anderen daran, dass immer mehr Personen ihre Freizeit auch noch auf dem Gesäß verbringen. Häufig landen sie vor dem Fernseher oder dem Computer, wo sie locker mehrere Stunden am Stück sitzend verbringen. Dreimal in der Woche zum Sport zu gehen, ist dann gut gemeint, aber die Arterien werden trotzdem bei jeder längeren Phase auf dem Stuhl belastet.

Was tun im Büro?

Man fühlt sich schnell ein wenig hilflos. War doch der Bürojob die sicherste aller Varianten. Doch die Studie hat glücklicherweise ein Hintertürchen, mit dem die langfristigen Schäden kompensiert werden können: Gehen Sie in jeder Stunde, die Sie sitzend verbringen, einmal für fünf Minuten. Es muss noch nicht einmal schnell oder anstrengend sein. Hauptsache, Ihr Blut fließt.

Für alle Pokémon-Go-Spieler dürfte das kein Problem sein. Wer ohnehin immer mal wieder heimlich verschwindet, um die nahegelegene Arena einzunehmen oder das Relaxo um die Ecke zu fangen, kompensiert sein langes Sitzen mit Leichtigkeit – bekommt dann allerdings eventuell Schwierigkeiten der anderen Art mit dem Chef.

Pflichtbewusste Arbeitnehmer möchten aber vielleicht ungern im Stundentakt fünf Minuten um das Bürogebäude laufen. Müssen Sie auch nicht. Hält man die Augen offen, winken erstaunlich viele Gelegenheiten, um seine Arterien zu animieren: Gehen Sie zum Kopierer, holen Sie sich einen Kaffee, steigen Sie einmal die Treppe nach oben oder bieten Sie sich für Botengänge an. Müssen Sie viel telefonieren? Das können Sie ebenso gut im Stehen. Sie können sogar Meetings an einem Stehtisch bestreiten. Vielleicht wird es Ihnen der Besuch sogar danken, wenn er ebenfalls Vielsitzer ist.

Seien Sie kreativ, Ihr Körper wird es Ihnen danken. Bis ein Laufband zur Grundausstattung in den Büros gehört, wird es wohl noch ein Weilchen dauern.

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Autor

Katharina Boyens

Katharina Boyens ist Germanistin und Anglistin mit einem Faible fürs Schreiben. Von März 2016 bis Januar 2021 bereicherte sie das Euro Akademie Magazin mit lesenswerten Beiträgen in verschiedenen Rubriken.