Perfekt war gestern – Lieber erfahren als fehlerfrei

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Wer ist schon perfekt? Und vor allem: Wer legt fest, was perfekt ist? Tatsächlich ist es uns oft viel zu wichtig, beste Leistungen zu erbringen, immer alles richtig zu machen und Fehler zu vermeiden. Denn kleine Makel zeichnen uns und unser Leben aus.

Wie oft waren Sie in Ihrer Schul- oder Ausbildungszeit richtig gefrustet? Die Hausaufgaben waren zu schwer, der Lernstoff zu umfangreich und die Prüfung haben Sie sicher vergeigt. Jedenfalls wird es keine Eins. Doch ist das wirklich so schlimm? Die Bestleistung zu erbringen, sollte nicht so viel wert sein, dass Sie deswegen in Depressionen verfallen. Gestehen Sie sich ab und zu ruhig mal ein, dass Sie menschlich sind und kein Roboter. In vielen Berufen werden gerade die sozialen Komponenten, also die Menschlichkeit, immer bedeutsamer.

Der wahre Wert einer Note

Wissen Sie, wie Noten in der Schule gemacht werden? In einigen Fächern funktioniert das so: Der Lehrer zählt bei einer schriftlichen Übung zuerst die Fehler aller Arbeiten. Daraus berechnet er anschließend, wie viele Fehler jeder Schüler im Durchschnitt gemacht hat. Dieses Resultat entspricht dann der Note „Drei“ – ganz einfach deshalb, weil hinterher ein Dreierschnitt als Prüfungsergebnis herauskommen soll. Nun werden die Fehlerschritte für die besseren Noten noch gleichmäßig verteilt und für die schlechteren Noten übernommen. Vielleicht wird der Sprung zur Fünf und Sechs noch ein bisschen vergrößert.

Im Klartext bedeutet das, dass solche Bewertungen in der Schule – und übrigens auch in der Beamtenlaufbahn – lediglich aussagen, wie Sie selbst im Vergleich zum Rest der Klasse dastehen. Werden Sie beispielsweise zusammen mit vielen Homer-Simpson-Charakteren bewertet, bekommen Sie womöglich ständig Einser. Doch sitzen Sie bei gleicher Leistung in einem Raum mit den Nerds aus der Big Bang Theory, stehen Sie schnell auf einer Fünf oder sogar Sechs.

Bedeutung von sozialer Kompetenz

Trotzdem streben Schüler und deren Eltern die Bestnote an. In den Köpfen herrscht die Überzeugung, dass Erfolg nur mit einem erstklassigen Zeugnis möglich ist. Perfekt sein, heißt das Ziel. Doch erreicht man wirklich nur etwas, wenn man der Beste ist?

Die Antwort ist ein klares Nein. Wer auf der Karriereleiter vorankommen, in der Gesellschaft etwas bewegen oder eine neue Idee erschaffen will, wird nicht scheitern, weil sein Schnitt in den Abschlussprüfungen bei 3,5 lag.

Viel häufiger kommt es vor, dass die Asse in ihrem Bildungsgang zwar hochqualifiziert sind, aber nur über mangelhafte Sozialkompetenzen verfügen. Solche Soft Skills gewinnen immer mehr an Bedeutung und sind beispielsweise in technischen Unternehmen wie Microsoft und Google sogar wichtiger als die Abschlussnote. Diese sagt nämlich nur wenig darüber aus, ob die Person ein Teamplayer, konfliktfähig und belastbar ist.

Über geschlungene Pfade ans Ziel

Wichtig ist, dass Sie Ihr Leben ausgeglichen gestalten. Verwenden Sie auf Ihre Bildung genug Zeit, denn eine solide Ausbildung ist der Grundstein für Ihr späteres Berufsleben. Vernachlässigen Sie dabei aber nicht Ihre Freizeit, Ihre Hobbies oder Ihr ehrenamtliches Engagement. Dadurch verbessern sich Ihre schulischen Leistungen vielleicht nicht, aber Sie formen damit Ihren Charakter und erlernen wichtige Sozialkompetenzen.

Beispiele für Erfolg nach einem gewundenen Bildungsweg gibt es genug: Thomas Mann, Nena und Joschka Fischer haben alle nie einen Schulabschluss gemacht. Bertold Brecht hat die Schule gehasst und Norbert Blüm hat erst nach seiner Ausbildung auf dem Abendgymnasium sein Abitur nachgeholt. Trotz ihres holprigen Werdegangs sind alle zu großen Persönlichkeiten herangewachsen.

Eigene Träume verfolgen

Das heißt natürlich nicht, dass Bildung irrelevant ist. Aber vielleicht sollten Sie – und selbstverständlich auch Ihre Eltern – die ein oder andere mittelmäßige Zensur nicht ganz so eng sehen. Stattdessen könnte es sinnvoller sein, die Talente zu schulen, die Sie ohnehin besitzen und die Sie interessieren. Wer sich sein Leben lang leidenschaftlich mit Computerstrukturen und -systemen beschäftigt, hat gute Aussichten auf eine Karriere als Informatiker – selbst wenn die Zensuren in Deutsch, Englisch, Französisch oder Latein nicht perfekt sind. Gehen Sie Ihren Neigungen nach, dann leben Sie Ihr Leben auch und verbringen es nicht mit Pauken.

Aus Fehlern lernen

Sie haben sich bereits auf etwas festgelegt, dass aber gar nicht Ihr Ding ist? Auch einigen Schülern an der Euro Akademie sind Sackgassen, falsche Entscheidungen und kleine Umwege beim Bildungsweg nicht unbekannt. So hatten wir im Euro Akademie Magazin vor kurzem zwei Interviews mit Auszubildenden, die ihr Studium abgebrochen haben. Ebenso äußerte sich aber eine Schülerin, die auf ihr außerordentliches Abitur mit der Endnote 1,0 hingearbeitet und sich letztlich doch gegen ein Studium entschieden hat.

Statt eine eingeschlagene Richtung als Fehler und persönliches Versagen auf der Minusseite des Lebens zu verbuchen, können Sie diese Zeit als wertvolle Erfahrung ansehen, aus der Sie Schlüsse gezogen und etwas über sich und das Leben gelernt haben. Ein Stück weiser packen Sie Ihre Zukunft einfach nochmal von einer anderen Seite an.

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Autor

Katharina Boyens

Katharina Boyens ist Germanistin und Anglistin mit einem Faible fürs Schreiben. Von März 2016 bis Januar 2021 bereicherte sie das Euro Akademie Magazin mit lesenswerten Beiträgen in verschiedenen Rubriken.