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22.05.2018

Was ist ein Haus?

Gerne eröffne ich im ersten Semester den Unterricht "Sprache" mit Fragen, die sich darum drehen, was Sprache ist und welche Bedeutung Sprachen in unseren Gesellschaften haben. Das ist immer wieder aufs Neue unheimlich interessant. Gerade für Sozialpädagogen ist es wichtig, die Bedeutung, die Funktion und die Semantik von Sprache für uns Menschen zu erkennen. Zum Beispiel um zu verstehen, warum ein Kind Sprache überhaupt lernt und wie man es dazu motivieren kann. Oder warum Jugendliche bestimmte Wörter umdeuten oder ganz neu erfinden, um sich von den Erwachsenen abzugrenzen. Sprache ist ein Werkzeug, ein Mittel, oder wie ich manchmal auch im Unterricht sage: der Boden, auf dem Sozialisation und Kultur wachsen kann.

Was ist ein Wort?

Ich rege meine Schüler gerne dazu an, sich einmal zu überlegen, wie es wäre, so ganz ohne Sprache. Es ist schön, dann die nachdenklichen Gesichter der Studierenden zu betrachten. Der Konsens in allen Klassen: Irgendwie wäre vieles von dem, was unseren Alltag bestimmt, gar nicht möglich ohne Sprache.
Ein Ebene der Sprache ist die Lexik und Semantik. Der Wortschatz, den wir nutzen. Aber was ist denn nun ein Wort? Eine Folge aneinandergereihter Laute, die man im Mund artikuliert [haʊ̯s]? Oder das Ding, das meist vier Ecken hat, ein Dach, eine Tür und Fenster? Das Wort "Haus" setzt sich aus beiden zusammen, der Lautfolge [haʊ̯s] und der Vorstellung von dem Haus, zu dem bestimmte Merkmale gezählt werden können, wie eben die Ecken, das Dach, die Tür und das Fenster.

Die Vorstellung vom Haus

Wenn die Studierenden ganz spontan und ohne lange nachzudenken ein Haus zeichnen sollen, und man dann ihre Zeichnungen vergleicht, findet man oft das gleiche Schema: ein Viereck und ein Dreieck als Dach. Manche Studierenden fügen noch Türen und Fenster hinzu. Andere aber nicht. Einige malen weitere Details wie Balkone, Topfpflanzen und Gardinen dazu. Dennoch kommen wir schnell zu dem Schluss: Das Viereck als Basis und das Dreieck als Dach reicht, um ein Haus als Haus zu identifizieren. Ich frage dann: Ein Haus hat also vier Ecken und ein spitzes (oder angespitztes Dach)? Die Studierenden nicken bestätigend. Das heißt, dass unser Standort, Top Tegel, eigentlich kein richtiges Haus ist, denn hier fehlt das spitze Dach? Bei dieser Frage besteht unter den Studierenden meist Diskussionsbedarf. Während einige einlenken, dass auch das Schulgebäude ein Haus ist, dann eben ohne spitzes Dach, finden die anderen das gänzlich falsch: Hier handelt es sich um ein Gebäude, nicht um ein Haus. Warum? In einem Haus wohnt man. Ganz einfach. Die anderen runzeln die Stirn. Hier kann die Pause helfen, aus der Gedankenschleife wiederaufzutauchen. Denn beantworten wird man die Frage nie ganz.

Ein Gespür für Sprache bekommen

Interessant ist hier aber, wie sehr die Studierenden die Semantik, die genaue Bedeutung des Wortes "Haus" hinterfragen. Ein Wort, das eigentlich ganz einfach erscheint und über das man im Alltag weniger diskutiert. Wichtig ist hierbei, dass sie Studierenden dafür sensibilisiert werden, dass die Sprache und die Bedeutung von Worten sehr komplexe Angelegenheiten sind. Dass die richtige Anwendung "richtiger" Wörter auch immer eine Auslegungssache ist. Dass sich unsere Vorstellungen von den Sachverhalten, die sich hinter den Wörtern verbergen, voneinander unterscheiden. Hierbei spielt auch die kulturelle Sozialisation eine Rolle. Vor allem wenn Studierende in der Klasse sind, die in anderen Kulturen aufgewachsen sind, kann die Übung verdeutlichen, dass Häuser in anderen Ländern und Kulturen ganz andere typische Merkmale haben können (zum Beispiel rund sind) und trotzdem "Haus" genannt werden.
Für praktizierende Erzieher ist es wichtig, sich dieser Thematik bewusst zu sein. Sie kann dazu beitragen, einen eigenen sensiblen Umgang mit Sprache zu pflegen, für kulturelle Unterschiede sensibilisieren und auch die Definitionen von "richtig" und "falsch" hinterfragen.

Text: Eve Rossow

 

Hinweis zur Gender-Formulierung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text nur eine Form. Bei allen personenbezogenen Bezeichnungen meint die gewählte Formulierung stets alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten.

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