Auf Augenhöhe?

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Es gibt einen Begriff in unserem Modellprojekt, über den ich immer wieder stolpere: Die Ausbildung soll „erwachsenengerecht“ sein. Ein komischer Begriff, finde ich. Ist „erwachsenengerecht“ das Gegenstück zu „kindgerecht“? Ist eine berufliche Ausbildung nicht immer „erwachsenengerecht“? Sollten wir nicht – mit Kindern wie mit Erwachsenen – immer auf Augenhöhe arbeiten?

In unserem Team kam die Frage auf, ob wir die SchülerInnen duzen oder siezen sollten. Üblicherweise werden die SchülerInnen an unserer Fachschule gesiezt, aber mit Vornamen benannt. Die DozentInnen dagegen werden als Herr… oder Frau … angeredet.

Doch: Wie würde ich mich fühlen, säße ich auf der Seite der SchülerInnen? Manch eine SchülerIn ist fast in meinem Alter, alle sind lebenserfahren und „erwachsen“. Gebe ich da nicht eine Hierarchie vor, die sich nicht mehr „auf Augenhöhe“ befindet – nicht „erwachsenengerecht“ ist?

In unserem Team wurde das Duzen und Siezen kontrovers diskutiert. Die KritikerInnen des gemeinsamen Duzens argumentierten: Man würde den Respekt verlieren und Gleichmacherei betreiben, wo wir DozentInnen doch diejenigen sind, die das Zepter in der Hand halten. Würden Konflikte bei der Notengebung entstehen? Würde man Erwartungen von Freundschaft schüren, wo es doch darum ging, ein stabiles SchülerInnen-DozentInnen-Verhältnis zu schaffen?

Ich entschloss mich zunächst, die SchülerInnen beim Nachnamen zu nennen – eine echte Herausforderung, weil Nachnamen manchmal ganz schön schwer auszusprechen und zu behalten sind. Es zeigte sich auch bald, dass die SchülerInnen und ich aneinander vorbei redeten: Ich sprach von Herrn …, sie von Sven.

Diese Verwirrung allein war es jedoch nicht, warum ich mich letztendlich entschloss, ihnen das Du anzubieten. Es kam mir einfach „natürlicher“ vor – schließlich arbeiteten wir eng zusammen, wie es auch KollegInnen tun. Nur die Gleichbehandlung war mir wichtig: Es sollten alle zustimmen.

Das taten sie dann auch.

Die Wirkung war bewegend: Eine vertrauensvolle Atmosphäre entstand, Hemmschwellen wurden abgebaut, wo sie störten. – Zu eng, um eine professionelle Distanz zu wahren? Ich bin gespannt, was sich aus dieser vertrauensvollen Atmosphäre entwickeln wird.

Autor

Barbara Tauber

Barbara Tauber, ehemalige Dozentin an der Euro Akademie Berlin, betreute bis August 2017 das Projekt "Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas" federführend. Sie engagiert sich für eine neue Lernkultur: Schüler gestalten aktiv und eigenverantwortlich ihren Lernprozess, Dozenten werden zu Coachs, die diesen Lernprozess unterstützen und begleiten. In diesem Blog schildert sie Erfahrungen aus ihrem pädagogischen Alltag.