Wenn das Abschalten im Urlaub schwerfällt, kann ein Trend helfen: Ausmalen. Zahlreiche Erwachsene sitzen wie die Kinder vor Malbüchern. Völlig infantil oder sinnvolle Entspannungstechnik? Wir erklären, was dahintersteckt.
Endlich Urlaub! Der Sommer ist die Zeit, in der Schüler sowie Lernende in einer schulischen Ausbildung ihre Ferien genießen. Auch viele Berufstätige gönnen sich eine Auszeit vom Arbeitsalltag. Das gemeinsame Ziel: abschalten, entspannen und einfach dem schönen Leben frönen. Das ist auch nötig, um Kraft zu tanken und hinterher mit mehr Energie wieder frisch ans Werk zu gehen.
Doch was in der Theorie wunderbar funktioniert, stellt sich häufig schwerer dar, als gedacht. Selbst am weißesten Strand dieser Welt, wo die Sonnenstrahlen die Zehen kitzeln, eine salzige Brise vom Meer heranweht und das einzige Geräusch das sachte Rauschen der Wellen ist, kann Ihnen der Kopf einen Strich durch die Rechnung machen.
Nach einer heftigen Stressperiode, beispielsweise nach Prüfungen, Abgabeterminen oder aufwändigen Projekten, kreisen die Gedanken manchmal noch in der Ruhephase um die vorherigen Probleme. Vielleicht gibt es immer noch offene Fragen und drohende Konsequenzen, die erst nach dem Urlaub geklärt werden. Entspannung finden Sie mit dem Kopf voller Sorgen jedenfalls nirgendwo.
Malend ins Hier und Jetzt
Wichtig ist erst einmal, sich von den vergangenen Strapazen zu lösen und ganz den jetzigen Moment wahrzunehmen. Ihr Hirn scheint schließlich immer noch an Ihrem Schreibtisch zu sitzen, während Ihr Körper schon in den Bergen kraxelt oder sich am Meer räkelt. Erholung finden Sie erst, wenn Sie sich voll der Schönheit des Augenblicks bewusst sind.
Das ist nicht einfach. Denn wenn sie einmal im Gedankenkarussell feststecken, gibt es kein einfaches Entkommen und plötzlich finden Sie sich wieder zum Streitgespräch mit Ihrem Vorgesetzten zurückversetzt. Einfach abwarten hilft da nicht. Sie müssen handeln. Eine in letzter Zeit hochgepriesene Möglichkeit zum Abschalten wurde zum Trend: das Ausmalen für Erwachsene.
Seit 2013 „Mein verzauberter Garten“ von der Illustratorin Johanna Basford in die Läden kam und sich zum Bestseller mauserte, wurde das Malbuch gelobt, zerrissen, belächelt, diskutiert und als Allheilmittel ausgerufen. Da wurde der Untergang der Kultur – vor allem natürlich der Literatur – beklagt, die feige und faule Realitätsflucht der kompletten Gesellschaft angeprangert, die Verdummung der Menschheit prophezeit.
Was auch immer die großen Denker und Kritiker befürchten – der Entspannung hilft es. Schnappen Sie sich eines der mittlerweile unzähligen Erwachsenen-Malbücher in den Läden, eine Packung Buntstifte und legen Sie los! Vielleicht wirkt es anfangs ein wenig lächerlich und unter Ihrer Würde, doch die Vorteile des Kritzelns machen sich schnell bemerkbar: Sie sind einfach mal eine Zeit lang nicht Teil des Weltgeschehens. Für das Einfärben des Schmetterlings benötigen Sie kein WLAN. Ein Blütenblatt, ein Pflanzenstil, ein Käferpanzer –weder die Nachrichten, noch der Chat mit dem Kumpel, noch die Pokémon in der Umgebung sind dafür von Bedeutung.
Den Gedanken einen Ausweg malen
Sinn des Ganzen ist ein bestimmter Effekt, der sich beim Malen einstellt. Während Sie sich auf das Füllen der Felder konzentrieren, nehmen Sie zuerst einmal akustisch Ihre Umgebung stärker wahr. Das Kratzen Ihrer Buntstifte auf dem Papier wird Ihnen bewusst, in der Nähe wird Musik gespielt und hin und wieder schnappen Sie Wortfetzen anderer auf.
Es ist ein gutes Gefühl, diesen Moment so klar zu erleben und eine Aufgabe zu verfolgen, die zugegebenermaßen nicht weltbedeutend und vielleicht ein bisschen stupide ist. Doch genau diese Tatsache macht das Ausmalen ja so befreiend. Die Bewegungen verlaufen mit der Zeit ganz automatisch. Es werden keine Gedächtnis- oder Rechenleistungen gefordert, keine Analyse von Daten, noch nicht einmal Kreativität. Und ganz von alleine schweifen Ihre Gedanken in völlig neue Richtungen.
Wiederfinden im kolorierten Garten
Realitätsflucht? Ja, vielleicht. Doch ist das so schlimm? In einer Zeit, in der die Medien jedes Negativereignis zu einer beispiellosen Katastrophe erheben und im Minutentakt darüber berichten, tut es doch ganz gut, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie dürfen es ruhig einmal genießen, dass Ihre einzige Frage ist, ob Sie das Dach des Märchenschlosses nun mintgrün, ocker, karminrot oder türkis ausmalen.
Gleichzeitig erinnern Sie sich dabei wieder daran, welche Werte und Lebensziele Ihnen – und nicht dem Chef – eigentlich wichtig sind. Lassen Sie die Zukunftsangst, den Leistungsdruck und die Erwartungen zurück und finden Sie sich wieder selbst.
Bunte Vielfalt
Selbstverständlich ist das Ausmalen in „Mein verzauberter Garten“, einem der Nachfolger „Mein Zauberwald“ oder „Mein phantastischer Ozean“ oder sogar dem am 25. August erscheinenden „Mein geheimnisvoller Dschungel“ nicht die einzige Methode, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Tatsächlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten zu entspannen und nicht jede passt für alle Menschen. Während die einen auf Meditation schwören, gibt es für die anderen nichts Größeres als Yoga. Eine weitere Gruppe wiederum muss sich an ihre sportlichen Grenzen bringen, um zur inneren Ruhe zu finden.
Die malende Fraktion ist ebenfalls nicht erst nach den Medienberichten über Johanna Basfords Werke entstanden. In zahlreichen Büros liegen Blöcke voller Kritzeleien und wer hat nicht schon einen Text gesehen, in dem die Felder, die ein „e“, „a“, „d“ und so weiter bilden, ausgefüllt sind.
Welches Mittel für Sie am besten geeignet ist, müssen sie selbst herausfinden. Doch den Versuch, mit dem Buntstift die Dämonen des stressigen Alltags zu bezwingen, ist es allemal wert. Schließlich haben auch Sie sich einen schönen, entspannten Sommer verdient.
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