Warum die Eltern trotz massiver Betreuungsprobleme so lange hinter dem Kita-Streik stehen
Seit dem 8. Mai sind die Kitas geschlossen. Seit nun mehr 3 Wochen streiken Erzieher kommunaler Kitas und ein Ende scheint nicht in Sicht. Betroffene Eltern versuchen, ihre Kinder anderweitig betreuen zu lassen, während sie selbst arbeiten müssen. Eine Zerreißprobe für viele Familien. Doch worum geht es eigentlich in dem Streik? Welche Forderungen führten zu dieser langanhaltenden Arbeitsniederlegung?
Mehr Anerkennung für soziale Berufe
Die Gewerkschaften haben sich das Ziel gesetzt, die Beschäftigten im Sozial- und Erzieherdienst durch die Eingruppierung in einer höheren Tarifstufe aufzuwerten. Diese entspricht eine Gehaltserhöhung von 10%, welches umgerechnet circa 1,2 Milliarden Euro jährlich für die Kommunen bedeuten würden. „Es hat einen enormen pädagogischen Qualitätsschub gegeben, der sich jetzt auch in der Bezahlung niederschlagen muss.“, argumentiert ver.di-Chef Frank Bsirske. Und tatsächlich sind die Aufgaben im Erzieherberuf nicht nur vielfältiger geworden, es werden immer wieder Forderungen für eine bessere Qualität in der Kinderbetreuung laut. In den letzten Jahren wurden viele neue Kita-Plätze geschaffen, auch für die unter Dreijährigen. Dabei geht es nicht mehr nur um die Betreuung der Kinder. Viel mehr sollen ihnen vielfältige Kompetenzen vermittelt, ihre Talente erkannt und gefördert werden. Auch die Sprachentwicklung steht heute mehr denn je im Vordergrund. Zu den elementaren Aufgaben der Erzieher gehört es, Migrantenkindern und ihren Eltern zu helfen, sich besser zu integrieren, häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu treffen, die Kinder zu schützen. Zu guter Letzt muss schließlich die Entwicklung eines jeden Kindes dokumentiert werden.
Diese Aufgaben haben die Betreuung in den Kindertagesstätten zu einem enormen qualitativen Schub verholfen. So ist es den Kindern möglich, gestärkt aus der Kita ins Leben zu starten. Doch diese Aufgaben dürfen nicht nur in der Theorie existieren, sie müssen in der Praxis funktionieren. Bei einem Betreuungsschlüssel von eins zu fünfzehn – in der Realität häufig von eins zu zwanzig – lassen sich all diese Aufgaben nicht umsetzen. Die Branche ist seit langem von einem akuten Fachkräftemangel geplagt. Erzieher zu werden ist für viele ein Traumberuf, doch die Arbeitsbedingungen schrecken häufig ab. Doch um den hohen qualitativen aber auch gesellschaftlichen Anforderungen in diesem Beruf gerecht werden zu können, bedarf es mehr Fachkräfte in Deutschland. Der Erzieherberuf muss attraktiver werden. Dafür kämpfen Erzieher und Gewerkschaften.
Die Kommunen jedoch sehen sich nicht in der Lage, diese hohen finanziellen Forderungen zu leisten und fordern mehr Unterstützung vom Bund. Schließlich habe dieser mit dem Kita-Ausbau und einem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz inhaltlich mitgemischt. Diese Forderung wird auch in der Gesellschaft laut. Michael Hoffmann, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), argumentiert dagegen. Die Monatsgehälter von Erziehern beispielsweise liegen nach seinen Angaben zwischen 2.590 bis 3750 Euro und damit oberhalb der Ausbildungsberufe des öffentlichen Dienstes. Dennoch zeigt Hoffmann sich offen und ist zu einem Kompromiss bereit. Die Aufgaben der Erzieher, wie Sprachförderung, musische Erziehung oder Inklusion, können bei der Bezahlung berücksichtigt werden, schlägt er vor. Hieraus ergäbe sich für die betreffenden Erzieher ein „Aufstieg um ein oder zwei Entgeltgruppen oder von bis zu 443 Euro im Monat“. Dies wäre ein Anfang. Den Gewerkschaften genügt dies nicht. Eine Einigung scheint weiterhin nicht in Sicht.
Die elterliche Geduld schwindet
Das elterliche Verständnis für die Forderungen ist groß. Vielerorts streiken sogar Eltern und Kinder mit den Erziehern. Wen wundert es, geht es doch letztendlich um die Entwicklung und das Wohlergehen ihrer Kleinen und Kleinsten. Doch nach drei Wochen ohne Betreuung scheint selbst der längste Geduldsfaden zu reißen. Wohin mit den Kindern, wenn Mama und Papa arbeiten müssen? Weiterhin ist Kreativität gefragt. Eltern organisieren sich, treffen Absprachen mit anderen Eltern, wechseln sich ab und greifen auf ihr familiäres und soziales Netzwerk zurück. Einige nehmen unbezahlten Urlaub oder können kurzfristig in flexible Arbeitszeiten wechseln. Doch dieses Glück haben nicht alle Eltern der rund 3,2 Millionen betroffenen Kinder. Die elterliche Geduld ist am Ende. Der Ruf nach mehr Kompromissbereitschaft wird laut.
Die Frage bleibt: Wie lange werden Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände diesen Streik aufrecht erhalten? Und inwieweit kann die Eingruppierung in eine höhere Tarifstufe die sozialen Berufe aufwerten? Eines steht fest: Auch wenn die Tariferhöhung nur den öffentlichen Dienst betrifft, würde eine ganze Berufsgruppe profitieren. Denn es ist genau dieser Tarif, an den sich die Gehälter anderer sozialer Berufe orientieren. Eine Hebelwirkung, die dem Fachkräftemangel in einer verantwortungsvollen Branche entgegen wirken könnte. Einer Branche, die nach mehr Anerkennung ruft.
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