Gute Bücher kommen nie aus der Mode. Das gilt auch für Kinderbücher. Umso mehr, weil sie sich hervorragend eignen, um Werte und Grundregeln des Zusammenlebens an die nächste Generation weiterzugeben. An der Euro Akademie Tauberbischofsheim haben sich die angehenden Erzieher*innen mit Klassikern der Kinderbuchliteratur auseinandergesetzt, mit denen sie selbst groß geworden sind und die sie heute immer noch schätzen. Wieso das so ist, könnt ihr in unserer kleinen Serie „Kinderbuchklassiker in der Kritik“ nachlesen. Heute starten wir in Teil 1 mit dem „Kleinen Gespenst“ von Otfried Preußler, das im Jahr 1966 mit Illustrationen von Franz Josef Tripp erschienen ist.
Im Abschlussjahr der pädagogischen Vollzeitausbildung (OK) und der praxisintegrierten Ausbildung (PIA) wurde eine der Deutsch-Klausuren durch eine Buchbesprechung (Vortrag mit Präsentation) und einen ausgearbeiteten schriftlichen Kommentar zum Text ersetzt. Dabei sollten die Auszubildenden einen Klassiker der Kinderliteratur auswählen, dessen Inhalt referieren und den pädagogischen Gehalt des Textes aus ihrer Sicht als erzieherische Fachkraft bewerten. Im Folgenden findet ihr einen Text von Lara-Marie Arnold (OK).
Schon fast 60 Jahre alt: „Das kleine Gespenst“
Das Kinderbuch „Das kleine Gespenst“ von Otfried Preußler, das 1966 im Thienemann Verlag erschienen ist, zählt zu den Klassikern der deutschen Kinderliteratur. Mit viel Fantasie und Charme erzählt Preußler die Geschichte eines kleinen Nachtgespenstes, das in der Burg Eulenstein lebt. Der größte Wunsch des kleinen Gespenstes ist es, die Welt einmal bei Tageslicht zu sehen. Als sich dieser Wunsch unerwartet erfüllt, gerät nicht nur sein Leben, sondern auch die kleine Stadt Eulenberg durcheinander.

Illustration Kleines Gespenst: © F.J. Tripp, kol. von M. Weber, Thienemann Verlag
Liebevoll illustriert
Die turbulenten Abenteuer, die es dabei erlebt, fesseln junge Leserinnen und Leser bis heute noch. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich das Buch „Das kleine Gespenst“ als Kind geliebt habe, und auch heute noch gehört es zu meinen Lieblingskinderbüchern. Besonders hervorheben möchte ich die Illustrationen, die meiner Meinung nach einen großen Teil des Buches ausmachen. Sie wurden von Franz Josef Tripp erstellt und sind in einem schönen, detaillierten Schwarz-Weiß-Stil gehalten. Die Bilder sind sehr kindlich und dennoch ausgesprochen ausdrucksstark, sodass man trotz des Verzichts auf Farben jede Menge erkennen und sich in die Welt des kleinen Gespenstes hineinversetzen kann. Als Kind war ich fasziniert von den detailreichen Darstellungen, und auch heute noch schätze ich diese kunstvolle Gestaltung. Es sind Bilder, die nicht nur die Geschichte illustrieren, sondern die Fantasie anregen.
Neugierig und mutig
Die Hauptfiguren, allen voran das kleine Gespenst, sind sehr gut charakterisiert. Jede von ihnen trägt einen einzigartigen Namen und hat eine eigene Persönlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte weiterentwickelt. Das kleine Gespenst zum Beispiel, das in der Nacht durch die Burg schleicht, zeigt eine Mischung aus Neugier und Mut, was es besonders sympathisch macht. Ebenso sind die anderen Figuren, wie die Eule oder die Dorfbewohner, ebenfalls liebevoll und abwechslungsreich dargestellt.
Diese Vielfalt an Charakteren sorgt dafür, dass sich die Kinder leicht in die Geschichte hineinversetzen können. Der Plot ist ansprechend und spannend, auch wenn er keine tiefgründigen Wendungen bietet. Das Buch eignet sich hervorragend für jüngere Kinder, da es eine klare und übersichtliche Handlung hat.
Ängste überwinden – sich gegenseitig akzeptieren
Die Themen, die angesprochen werden, sind sehr bedeutungsvoll: Es geht um Mut und die Auseinandersetzung mit eigenen Ängsten. Das kleine Gespenst, das normalerweise nur nachts aktiv ist und vor dem Tageslicht Angst hat, muss seine Ängste überwinden, was eine sehr wertvolle Botschaft an die jungen Leser ist.
Auch das Thema Toleranz wird aufgegriffen, als das Gespenst und die Dorfbewohner lernen, sich gegenseitig zu akzeptieren und in einer gemeinsamen Welt zu leben.
Die Sprache im Buch ist für die Zielgruppe der Kinder sehr gut geeignet. Sie ist einfach und klar, ohne dabei langweilig zu wirken. Besonders gut gefallen mir die kurzen Kapitel, die es den Kindern ermöglichen, das Buch selbstständig zu lesen.
Die klare Struktur ist zudem ideal für den Einsatz in der pädagogischen Arbeit, da das Buch in kleinen Abschnitten gelesen werden kann. Aus der Perspektive einer pädagogischen Fachkraft betrachtet, bietet „Das kleine Gespenst“ viele Möglichkeiten, um wichtige Werte zu vermitteln.
Illustration Kleines Gespenst: © F.J. Tripp, kol. von M. Weber, Thienemann Verlag

Wichtige Werte
Die Geschichte fördert die Fantasie und Kreativität der Kinder, da sie in einer fantasievollen Welt spielt und die Kinder zum Nachdenken über ihre eigenen Ängste anregt. Zudem lehrt das Buch den Umgang mit schwierigen Gefühlen, wie der Angst vor dem Unbekannten oder vor dem, was man nicht versteht. Es zeigt, dass Mut nicht bedeutet, keine Angst zu haben, sondern die Ängste zu überwinden und neue Erfahrungen zu sammeln. Auch das Miteinander von verschiedenen Wesen, die anfangs Misstrauen hegen, aber am Ende zusammenarbeiten, ist ein sehr wertvoller Aspekt und fördert eine positive Haltung gegenüber anderen.
Was mir ebenfalls gefällt, ist die Vielseitigkeit, die das Buch für verschiedene Angebote in der Pädagogik bietet. Man kann zu den Themen des Buches viele kreative und spielerische Aktivitäten gestalten – von Bastelideen über Rollenspiele bis hin zu Gesprächsrunden, in denen die Kinder über ihre eigenen Ängste und deren Bewältigung sprechen können. Zusammengefasst kann ich „Das kleine Gespenst“ jedem empfehlen. Es ist ein wunderschönes Kinderbuch, das sowohl unterhaltsam als auch lehrreich ist. Die Mischung aus Spannung, Fantasie und moralischer Botschaft macht es zu einem tollen Buch. Es hat mir als Kind genauso gut gefallen wie heute und wird sicherlich auch noch vielen Kindern weiterhin gefallen.
Text: Lara-Marie Arnold, OK
Beitragsbild: Shutterstock/Anton Vierietin