Der Kreativität keine Grenzen setzen

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„Ich glaube nicht, dass Kreativität die Gabe einer guten Fee ist. Ich glaube, sie ist eine Fertigkeit, die wie Autofahren geübt und gelernt werden kann. Wir halten die Kreativität nur für eine Gabe, weil wir uns nie bemüht haben, sie als Fertigkeit zu üben.“ Edward de Bono

Die wenigsten Menschen halten sich für kreativ. Dabei haben die meisten von ihnen in ihrer Kindheit die einfallsreichsten Spiele gespielt. Mit der Zeit und den Wertvorstellungen, die insbesondere in der frühen Schulzeit auf akkurate Lösungen ausgerichtet sind, haben viele von ihnen diese Kreativität mit der Zeit verlernt. Dabei wird sie unbewusst tagtäglich gebraucht. Sei es bei der Lösung einfacher Fragen, bei der Planung von Ausflügen oder der Wohnungs- oder Freizeitgestaltung – die Kreativität ist allgegenwärtig. Auch der Beruf erfordert es, immer wieder neue Wege zu gehen, neue Ideen und kreative Lösungen zu finden. In vielen Situationen ist es notwendig, eine andere Perspektive einzunehmen, sich in andere Personen hineinzuversetzen und für Probleme kreative Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Dieser Kreativität konnten die Schüler in der Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten an der Euro Akademie Aschaffenburg in ihrem Projekt „Kreatives Schreiben“ freien Lauf lassen. Im Rahmen des Deutschunterrichts entwickelten sie eigene Ideen, suchten nach neuen Wegen und schulten ganz nebenbei ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Ein Beispiel dafür, dass diese Kreativität auch Spaß machen kann, lieferten sie mit einem eigens kreierten Ende der Fabel „Der Nachtschmetterling und der Stern“ des amerikanischen Schriftstellers James Thurber (1894 – 1961).

Der Nachtschmetterling und der Stern von James Thurber

Ein junger, empfindsamer Nachtschmetterling hatte einst sein Herz an einen bestimmten Stern gehängt. Er erzählte seiner Mutter davon, und die riet ihm, er solle sein Herz lieber an eine Leselampe hängen. „Sterne sind nicht das Richtige für unsereinen“, sagte sie, „das einzig Richtige sind Lampen.“
„Ja, bei denen kommt man zu etwas“, bestätigte der Vater des Nachtschmetterlings, „Wer aber Sternen nachjagt, kommt man zu gar nichts.“ Aber der Sohn hörte nicht auf seine Eltern. Jeden Abend, kaum dass es dämmerte, unternahm er den Versuch, zu dem Stern hinaufzufliegen, und jeden Morgen bei Tagesanbruch kehrte er mit lahmen Flügeln zurück, erschöpft von seinem vergeblichen Bemühen. Eines Tages sagte sein Vater zu ihm: „Du hast dir in all den Monaten nicht einen Flügel verbrannt, mein Junge, und mir sieht’s ganz so aus, als würdest du es niemals tun. Alle deine Brüder haben sich beim Rundflug um Straßenlampen schwer verbrannt, und alle deine Schwestern haben sich beim Rundflug um Hauslampen tüchtig versengt. Also vorwärts, nimm dir ein Beispiel an ihnen. Hinaus mit dir! Ein großer stämmiger Nachtschmetterling-Bengel wie du und noch ohne eine Narbe am Leib!“

Der Nachtschmetterling verließ die elterliche Wohnung, aber er flog nicht um Straßenlampen, und er flog nicht um Hauslampen. Er setzte seine Bemühungen fort, zu dem Stern zu gelangen  … .

James Thurber: Der Nachtschmetterling und der Stern. In: James Thurber: 75 Fabeln für Zeitgenossen. Den unverbesserlichen Sündern gewidmet. Übersetzt von Ulla Hengst, Hans Reisiger, Heinrich M. Ledig-Rowohlt, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1970, S. 17f.

Fremdsprachenkorrespondenten werden kreativ

Der von Jens kreierte Schluss der Fabel

Auf dem Weg zu den Sternen begegnete er vielen Hindernissen und auch Bienen und Wespen, die ihm weise Ratschläge geben wollten.

Zunächst begegnete er einer Biene, die gerade auf dem Rückflug von den Sternen war und ihm berichtete, dass es da oben doch gar nicht so toll und wunderbar sei. Dort seien zu viele, die das Gleiche und immer nur das Beste wollen, aber es ist eben nicht so viel Platz auf den Sternen, dass jeder seine Wünsche und Träume verwirklichen kann. Der Nachtschmetterling ließ sich von ihren Aussagen nicht beirren und flog weiter. Nach einer Weile begegnete er einer Wespe, die ihm das Leben auf den Sternen schmackhaft machen wollte. Es gebe dort alles, was man für sein Leben brauche. Und es sei auch sehr leicht, neue Freunde kennenzulernen, die dir dann auch später helfen, wenn du Unterstützung brauchst. Es sei wie im Paradies.
Angetan von diesen Berichten flog der Falter weiter und landete schließlich auf einem wundervollen, prächtigen, leuchtenden Stern. Er sah sich um und sah, wie lebhaft und munter es dort zuging. Es gab genug zu essen und zu trinken und es kamen viele Falter, Ameisen und Bienen auf ihn zu, die ihn nach seinen Vorstellungen fragten.
Er sagte, er wolle der schönste Falter auf der Welt sein und fragte, wie das denn möglich sei. Die anderen Tiere zeigten ihm den Weg und halfen und unterstützten ihn, wo es notwendig war. Sie sagten jedoch auch, dass sie ihm nur einige Wochen helfen würden und er später alleine zurechtkommen müsse.
In dieser Zeit lernte der Falter auch viele falsche Freunde kennen und merkte bald, dass ihm seine Familie sehr fehlte. Nach zwei Monaten beschloss er zurückzufliegen, aber er bereute seinen Flug zu den Sternen nicht, denn er war jetzt um einige wichtige Lebenserfahrungen reicher.

Der von Issra kreierte Schluss der Fabel

… doch jedes Mal scheiterte sein Versuch. Er war enttäuscht, er hat seine Familie verlassen, um diesen Traum verwirklichen. Nach weiteren mehreren erfolglosen Versuchen gab er auf. In einer Nacht ging er an eine Straßenlampe, wo er alleine sein konnte. Dort kam ein alter Nachtschmetterling. Er sah ihn und fragte ihn, wieso er so traurig und müde aussehe. Er erzählte ihm seine Geschichte erzählt und der Alte sagte ihm, dass jeder Träume habe, aber man nicht jeden Traum verwirklichen könne. Es sei aber wichtig, es zu versuchen, denn nur dadurch lerne man. Der alte Nachtschmetterling empfahl ihm, zurück nach Hause zu fliegen und sich zu entschuldigen. Der kleine Nachtschmetterling flog nach Hause, doch er fand seine Eltern nicht. Er fragte seine Freunde und sie sagten ihm, dass seine Eltern vor einigen Monaten gestorben waren. Der Nachtschmetterling war traurig und versprach sich selbst, nicht mehr an die Sterne zu denken, sondern, wie es seine Eltern immer gewollt hatten, um Straßenlampen und Hauslampen zu fliegen.

Der von Johanna kreierte Schluss der Fabel

Jede Nacht, Tag um Tag versuchte er es immer wieder, startete einen Versuch nach dem anderen. Er wollte nicht aufgeben, er dachte gar nicht daran. Das herablassende Gelächter und die schmunzelnden Blicke und Kommentare der anderen Falter ignorierte er gekonnt. Er schob es beiseite, ließ all den Spott nicht heran. Er wollte in den Sternenhimmel, komme, was da wolle. „Gib nicht auf!“, „Versuch es noch einmal“, „Dieses Mal klappt es bestimmt!“, erzählte er sich immer und immer wieder in Gedanken, fing jedoch selbst langsam an, an sich zu zweifeln. Die Sterne waren so weit oben, er ganz da unten. Wie sollte er jemals an sie herankommen?
Eines Abends, als der kleine Nachtfalter müde, niedergeschlagen und fast schon hoffnungslos einen neuen Versuch starten wollte, sah er plötzlich ein funkelndes Licht aus einem Fenster ganz in seiner Nähe. Er flog hin, um nachzusehen, was da war und was er erblickte, ließ seinen Atem stocken und sein Herz einen Aussetzer machen.
Sterne, Monde und sogar eine Sonne, alles, nur ganz klein. Doch das Funkeln und Leuchten der Sterne hatten es dem jungen Falter sofort angetan. Er musste in diesen Raum!
Er kroch den Fensterrahmen entlang und verschaffte sich Einlass durch den oberen Spalt, den das gekippte Fenster bot. Sein Herz klopfte wie wild und machte Freudensprünge, als er dann um all die kleinen fliegen und sie berühren konnte, wie er es bereits in seinen schönsten Träumen getan hatte. Er war zu Hause.
Jeden Tag nun, wenn die Sonne am Himmel steht, schläft und versteckt er sich hinter einem Schrank. Und wenn die Nacht anbricht und die Sterne zu neuem Leben erweckt werden, erfreut er sich jedes Mal von neuem an ihrem Glitzern. Er hat endlich seinen eigenen Sternenhimmel gefunden.

Der Originalschluss von James Thurber

Er setzte seine Bemühungen fort, zu dem Stern zu gelangen ….

…. der vier und ein drittel Lichtjahre oder fünfundzwanzig Trillionen Meilen weit entfernt war. Der Nachtschmetterling dachte, der Stern habe sich nur in den Wipfelzweigen einer Ulme verfangen. Er erreichte ihn nie, aber er versuchte es immer wieder, Nacht für Nacht, und als er ein steinalter Nachtschmetterling War, begann er sich einzubilden, er habe den Stern erreicht, und er erzählte es aller Welt. Das erfüllte ihn mit einem tiefen, bleibenden Glück, und er brachte es zu einem hohen Alter. Seine Eltern und seine Brüder und Schwestern waren alle noch in jungen Jahren zu Tode verbrannt.

Und die Moral von der Geschicht’? Wer fliegt aus unserer Welt der Sorgen, bleibt wohlbehalten heut und morgen.

Kreativität gewinnt in der heutigen Berufswelt eine zunehmende Bedeutung. Es ist wichtig neben gewohnten Lösungsansätzen über den Tellerrand hinauszuschauen, sich abzuheben und sich auch einmal von gewohnten Mustern zu lösen.

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