Stadt, Land – wo ist das Leben besser im Fluss?

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Ist die Mietpreisbremse eine adäquate Lösung für die Wohnungsnot in deutschen Großstädten? Zunehmend warten Städter nicht mehr darauf, dass die Politik den Wohnungsmarkt regelt, sondern suchen nach Alternativen. Viele ziehen ins Umland. Manche auch gleich ganz in die Pampa. Wir wollten es wissen: Was bringt größeres Glück? Stadtleben oder Landleben? Ein friedliches Streitgespräch unserer Autorinnen, die meistens einer Meinung sind. Heute aber nicht.

Nadine Elbert lebt gerne dort, wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen

Ich bin auf der Flucht. Raus aus der Stadt, rein ins Landleben. Eine Stadtflüchtige. Natürlich hat es auch mich als junge Erwachsene in die große, weite Welt getrieben. Nach fast einem Jahrzehnt in einer doch recht netten Stadt in Südbaden, ein paar kurzen Abstechern in internationale Metropolen an der Seine und der Themse, einem kleinen Zwischenstopp in einer eher provinziellen Kleinstadt am bayrischen Untermain und einem anderthalb Jahre währenden Zwangsaufenthalt in der wunderlichen „Weltstadt mit Herz“ bin ich glücklicherweise wieder zurück an dem Ort, für den mein Herz schlägt: auf dem Land. Ich mag mein Dreitausend-Seelen-Dorf. Wieso? Das ist schnell erklärt.

Hier ist’s einfach dufte

Man merkt es schon beim alltäglichsten aller Dinge, die man als Mensch so macht: beim Atmen. Die Luft, wenn ich an der Kuhweide hinterm Haus entlangspaziere, riecht einfach viel besser als die Abgase bei der Shoppingtour auf dem Ku’damm. Gerne nehme ich eine Nase davon und schaue dabei in den naheliegenden Wald. Gerade jetzt im Herbst ist das Farbenspiel tausendmal schöner als Van Goghs Leinwände, die ich aktuell in einer Museumsausstellung in Hessens heimlicher Hauptstadt bewundern könnte. Könnte ich, will ich aber nicht. Schon die Fahrt dorthin, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln etwa eine Stunde dauern würde, wäre die Hölle für mich. Dicht gedrängt in der S-Bahn stehen – mit Menschen, die ich weder riechen kann noch möchte. Dann dieser eindringliche Geruch in den U-Bahn-Stationen: Für die einen ist er der süße Duft der Großstadt, bei mir löst allein der Gedanke daran einen Brechreiz aus.

Du, ich kenn‘ Dich

Deswegen, schnell zurück aufs Land. Hier kenne ich jeden und jeder kennt mich. Heike, bei der ich noch heute jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit mein Stückchen hole, hat mir als Sechsjährige schon am Samstag die Brötchentüte in die Hand gedrückt, wenn ich von meinen Eltern zum Bäcker geschickt wurde. (Randnotiz: Dorthin bin ich natürlich gelaufen, zu Fuß, das war damals noch so – bevor die SUVs die Macht selbst über die Dorfstraßen übernahmen.) Es ist einfach praktisch, immer zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Kommt mir in einer verlassenen Seitenstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel eine fadenscheinige Kreatur entgegen, kann ich nur hoffen, dass ich von diesem zufälligen Zusammentreffen keinen bleibenden Schaden davontrage. Wenn mir in meinem Heimatdorf dieser eine schräge Typ – ich nenne keinen Namen – beim abendlichen Gassigehen begegnet, dann weiß ich: Der ist zwar irgendwie seltsam, der hat aber auch diesen oder jenen Grund dafür und – noch wichtiger: Der tut nichts. Und das ist einfach ein gutes Gefühl. Text: Nadine Elbert – ich steh dazu!

Unsere Autorin möchte lieber anonym bleiben – sonst wird gleich wieder getratscht

Anfang des Jahres bin ich von der Stadt aufs Land gezogen und es ist…nun ja… ganz nett. Zumindest sind die Mieten günstig. Das macht man aber dadurch wieder wett, dass man gefühlt dreißigmal mehr Benzin verbraucht – denn selbst der Bus ins nächste Kaff fährt nur im Zweieinhalb-Stunden-Takt, von der Weltreise in die Stadt ganz zu schweigen. So viele Dinge waren für mich ganz selbstverständlich: vegetarisches Essen, Einkaufen nach 18 Uhr, Museumsbesuche und Konzerte. All das ist jetzt mit einer längeren Autofahrt verbunden. Zum Beispiel beim Kleiderkauf: Wer nicht unbedingt die schicken sackförmigen Glitzershirts (am besten mit frechen Sprüchen drauf) aus Ernas Modeparadies tragen möchte, kann nur im Internet halbwegs anständige Klamotten beziehen – CO2-Fußabdruck, ahoi!

Däpp, Däpp, Däpp, Johnny Däpp, Däpp

Auch das kulturelle Angebot auf dem Dorf ist eher begrenzt. Während ich in der Stadt bei einem Glas Merlot die neue Woyzeck-Inszenierung betrachtete, muss ich hier literweise kalte Ente trinken, um die Kapelle, die in breitestem Hessisch „Johnny Däpp“ zum Besten gibt, zu ertragen. Einmal pro Monat hat das Dorfmuseum geöffnet, dann kann man ein paar verrostete Pflüge begutachten. Spätestens beim vierten Besuch wird das aber auch langweilig (ja, ich war viermal in diesem Museum – sehen Sie, wie verzweifelt ich bin?).

In einem Punkt muss ich Nadine recht geben: Ich kenne jeden und jeder kennt mich. Aber will ich das überhaupt? In der Stadt ist man anonym, man kann selbst entscheiden, mit wem man Kontakte pflegt. So bilden sich wahre Freundschaften. Auf dem Land nimmt man, was man kriegen kann – die zehn Hanseln, die zufällig im gleichen Alter sind, sind ab sofort mein Freundeskreis. Und nicht nur die wissen über mein Leben Bescheid: die Nachbar*innen reden sich den Mund fusselig, wenn die Wäsche zu lange im Garten hängt, die Straße zu spät gekehrt wird oder es nach zehn Uhr noch jemand wagt, zu lachen. Vor kurzem war ein Fremder in unserer Straße – können Sie sich das vorstellen? Für diesen Artikel werde ich wahrscheinlich mit Mistgabeln und Fackeln aus dem Dorf gejagt. Aber eine Stadtwohnung kann ich mir nicht leisten – deshalb möchte ich lieber anonym bleiben. Text: Anna Nym

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