Was brauchen Kinder und Jugendliche, wenn die Pandemie vorbei ist?

0

Kinder und Jugendliche haben während der Pandemie auf vieles verzichtet. Das ist besonders zu würdigen, weil die Kindheit ein Lebensabschnitt voller sozialer, emotionaler, kognitiver, motorischer Entwicklungen ist. Eine Zeit der ersten Male. Zum ersten Mal in der Schule, das erste Mal bei einem Freund übernachten, die erste Party, der erste Urlaub alleine, zum ersten Mal mit der Klasse im Landschulheim.

Die ersten Male wurden in den letzten zwei Pandemiejahren abgeschafft. Gefühle wurden unterdrückt, verschoben, ausgehalten. Mit ein bisschen Glück könnte die Pandemie bald zur Endemie werden. Machen wir dann einfach weiter so? Oder sehen wir hin, was wir gerade für Kinder und Jugendliche tun können? Holen wir die ersten Male nach oder bleiben sie zum großen Teil verloren? Und was ist mit denjenigen, die kein behütetes Elternhaus haben und noch mit ganz anderen Erfahrungen zu kämpfen haben?

Umfrage unter Expert*innen

Wichtige Fragen, mit denen sich auch die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugend- und Familienbehörden und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter beschäftigen. Sie haben eine Umfrage unter Expert*innen durchgeführt und in einem Positionspapier die Ergebnisse zusammengefasst. Darin geht es vor allem darum, „was junge Menschen mittel- und langfristig nach der Pandemie brauchen“. Im Mittelpunkt steht die große Bedeutung sozialer Kontakte und die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen – auch in Krisenzeiten.

„Die negativen Folgen der Covid-19 Pandemie wirkten sich insbesondere auf die Bereiche soziale Interaktion, emotionale Entwicklung, körperliche Aktivität, Bildung sowie physisches und psychisches Wohlbefinden aus. Bestehende Ungleichheiten nahmen zu und verringerte Teilhabe- und Chancengerechtigkeit zeigten sich noch deutlicher. Besonders herausfordernd war die Situation für jene junge Menschen, die in belasteten Verhältnissen aufwachsen“, ist eines der Resultate aus dem Positionspapier vom 14. Dezember 2021.

18 konkrete Empfehlungen in Krisensituationen

In der Stellungnahme gibt es 18 konkrete Empfehlungen für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Hier erfährt man viel über den Status quo und was in der nächsten Krise besser laufen sollte – und wie das über Pädagog*innen und Teilhabe von Kindern, Jugendlichen und Eltern zu erreichen ist. Die Empfehlungen beziehen sich also vor allem auf das generelle Vorgehen in Krisensituationen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Familien. Darunter fällt auch die Aufrechterhaltung von unverzichtbaren sozialen Kontakten zu Gleichaltrigen, zu Peer-Group und Pädagog*innen, der Zugang zu digitalen Angeboten und virtuellem Unterricht aber auch die Fortbildung und Arbeitsbedingungen von pädagogischen Fachkräften, um in Krisensituationen gut aufgestellt zu sein.

Außerdem sollten junge Menschen und deren Eltern in Zukunft Gremien angehören, in denen sie ihre Bedürfnisse und Meinungen direkt einbringen können. Alle 18 Empfehlungen finden Sie im Positionspapier „Was brauchen Kinder, Jugendliche und Familien nach Corona? – Konsequenzen für die Kinder und Jugendhilfe“

Und welche Unterstützung für Kinder und Jugendliche gibt es nach der Pandemie?

Wie es nach der Pandemie weitergehen kann, wird in dem Positionspapier nicht so richtig klar. Wie kann man Kinder und Jugendliche, die stark unter den pandemiebedingten Einschränkungen gelitten haben, unterstützen? Welche Programme und Angebote sind nötig? Wird nach dem Krisenmodus einfach wieder auf „Normalmodus“ umgeschaltet – so als wäre nichts passiert?

Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“

Das Bundesprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ soll den Heranwachsenden den Weg zurück in eine unbeschwerte Kindheit und Jugend ermöglichen. Zwei Milliarden Euro wurden dafür für 2021 und 2022 zur Verfügung gestellt.

Die drei Bereiche, in die das Geld fließt:

  • Frühkindliche Bildung fördern
  • Ferienfreizeiten und außerschulische Angebote ermöglichen
  • Aktion Zukunft – Kinder und Jugendliche im Alltag und in der Schule begleiten und unterstützen

Wie geht es den Schüler*innen?

Leider greift das Aktionsprogramm wohl nicht an allen Orten und Schulen. In der Regel geht der Lernstoff ungebremst weiter, die Schüler*innen müssen ihre Leistungen erbringen. Unterstützung, beispielsweise durch zusätzlich eingesetzte Sozialpädagog*innen, gibt es vielerorts nicht. Im Gegenteil: Fällt eine Lehrkraft aus, ist meist kein*e Kolleg*in da, der*die den Unterricht übernehmen kann. Der Unterricht fällt erneut aus – und wieder heißt die Lösung Homeschooling.

Den Schulstoff mal Schulstoff sein zu lassen, die Wissenslücken behutsam wieder zu füllen, die Kinder und ihre Emotionen in den Vordergrund zu stellen und Gemeinschaft und Zusammenhalt zu fördern, bleibt als Ziel bisher verfehlt.

Der Beitrag in den Nürnberger Nachrichten „Stimmungsbild: Wie geht es Kindern in der Schule?“ lässt Eltern, Schüler*innen und Lehrkräfte zu Wort kommen – und zeichnet ein überwiegend trauriges Bild.

Auch der Kommentar einer Mittelschullehrerin „Zu all dem seelischen Leid gesellt sich noch der Leistungsdruck“ in „Der Standard“ offenbart die Situation in den Schulen und regt zum Nachdenken an: „Schulische Defizite sind derzeit unser geringstes Problem […] Die Planstellen von Psychologen, Beratungslehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern müssen so erhöht werden, dass es, adaptiert an die Schülerinnen- und Schülerzahl, genug Betreuung vor Ort gibt. Vielleicht könnte man die Kinder mit oder ohne Eltern auf Reha schicken. Drei Wochen Therapie, Spaß und irgendwo abhängen, wo alles, was mit Corona zu tun hat, vergessen werden kann […] Wir können mit den Kindern lachen oder auf eine Deutschstunde verzichten und in den Park gehen. Ausgelassen fangen spielen oder nur plaudern, raus aus dem tristen Alltag. Den Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass wir uns nichts sehnlicher wünschen, als sie wieder ein bisschen glücklicher zu sehen.“

Mit Enthusiasmus und Freude ins Leben

Nein, nicht alles kann einfach so nachgeholt werden – auch weil sich die Bedürfnisse und Wünsche von Kindern und Jugendlichen innerhalb von Lebensjahren ziemlich stark verändern. Aus der 12-Jährigen, die sich am liebsten mit ihren Freund*innen zusammen Rollenspiele ausdachte, ist eine Jugendliche geworden, deren größter Wunsch es ist, ein Konzert ihrer Lieblingsband zu erleben. Aus dem 6-Jährigen, für den es das Größte war, einen Spielenachmittag mit der Familie zu genießen, ist ein selbstbewusstes Schulkind geworden, das sich am liebsten mit all seinen Freunden trifft und mit ihnen nachmittags um die Häuser zieht. Viele Jugendliche sind in der Zeit der Pandemie erwachsen geworden – eine Party zum 18ten gab es nicht. Ändern können wir das alles nicht mehr. Hinschauen, wahrnehmen und Verständnis zeigen, was jetzt und in nächsten Jahren für die Kinder und Jugendlichen wichtig ist, damit sie wieder die Leichtigkeit spüren, die die Kindheit und Jugend ausmacht, können wir schon. Wir können Wege ebnen, damit sie sich mit Enthusiasmus und Freude ins Leben stürzen dürfen.

Bildquelle Beitragsbild: © Monkey Business Images /shutterstock.com

Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.