Vorsprung durch Technik
Als in den 80er-Jahren ein bekannter Automobilkonzern auch in England mit seinem deutschen Slogan „Vorsprung durch Technik“ warb, fiel den meisten eine Übersetzung schwer. Andrew Pearson war damals noch Schüler und machte sich mit anderen auf dem Pausenhof über die für Ausländer hart klingende Tonalität der deutschen Sprache lustig. Dass er später einmal ausgerechnet in jener Stadt leben würde, wo die vier Ringe dieses Unternehmens 1932 zur Auto Union vereint wurden, war absolut unvorstellbar – und doch irgendwie vorherbestimmt.
Land der Dichter und Denker
Aufgewachsen in Barton, einer Kleinstadt an der englischen Ostküste, entwickelte er neben seiner angeborenen Vorliebe für Fish’n’Chips und den Charme alter Fabrikgebäude auch eine Leidenschaft für gute Bücher und Geschichte. Im historischen Canterbury und Leeds, einer (zumindest damals noch) grauen Industriestadt, studierte er European Studies und Literaturwissenschaft in Nürnberg. „Im Land der Dichter und Denker, von Goethe und Schiller, wobei mich Heinrich Böll und insbesondere sein „Irisches Tagebuch“ noch mehr faszinierte“, blickt Andrew zurück. „Nicht zu vergessen auch die stereotypischen Bilder der Deutschen als glückliche Menschen mit Lederhosen und Bier.“
Hinter dem Eisernen Vorhang
Die Frage, was sich im anderen Deutschland hinter dem Eisernen Vorhang verbirgt, habe seine Abenteuerlust dann aber noch mehr geweckt und so zog es ihn als Engländer noch zu DDR-Zeiten 1988 ans Fremdspracheninstitut der Universität Jena, untergebracht im heute als Jentower bezeichneten markanten Hochhaus. „Neben meiner Lehrtätigkeit für Studenten und Mitarbeiter habe ich dort auch Fachmagazine und Korrespondenzen mit ausländischen Partnern übersetzt und ganz konkret ein weitreichendes Standardwerk für Krankenhäuser und medizinisches Personal, auf das ich sehr stolz war.“
Zwiegespaltene Zeiten
Mit einem Kollegen aus den USA teilte er sich damals eine Simson und erkundete die unmittelbare Region. „Größere Strecken waren leider nicht möglich, weil ich als Ausländer für Unterkünfte immer mit Westgeld hätte bezahlen müssen, aber nur ein Monatsgehalt pro Jahr umtauschen durfte, um hin und wieder nach England fliegen zu können.“ Die Zeiten empfand er – wie so viele DDR-Bürger damals – zwiegespalten. Einerseits hatte er sich mit den freiwillig auferlegten Verhältnissen arrangiert, besuchte umjubelte Europapokalspiele von Carl Zeiss Jena, andererseits aber auch die Montagsdemos in Leipzig, um nach der Wende das hierzulande hundertausendfach geteilte Schicksal zu erleiden, plötzlich arbeitslos auf der Straße zu stehen.
007 auf Mission
Er blieb trotzdem und sollte im Oktober 1991 ein Angebot der Euro-Schule Jena erhalten, allerdings für den im März eröffneten Standort Chemnitz. „Ich habe frohen Mutes zugesagt, ohne vorher jemals hier gewesen zu sein. Aber tatsächlich hatten meine Eltern Karl-Marx-Stadt mal auf einer DDR-Rundreise kennengelernt, weil in Dresden alle Zimmer ausgebucht waren. „Viel Beton und viele Springbrunnen“ meinten sie, und „perfekt, eine Industriestadt“ dachte ich, zumal anfangs sowieso nur von zwei, maximal drei Jahren die Rede war.“ Inzwischen sind daraus über 30 Jahre geworden, und als 7. Mitarbeiter der ursprünglich reinen Sprachschule lautet seine Personalnummer immer noch 007, wobei seine Mission weder geheim und noch längst nicht vorbei ist.
Unterwegs im vereinten Deutschland
„In den spannenden 90er-Jahren konnte ich dann nicht nur endlich das östliche, sondern sogar das gesamte wiedervereinigte Deutschland bereisen. Mit meiner Bahn-Card war ich jedes Wochenende unterwegs und hatte montagmorgens zu tun, pünktlich zum Unterrichtsbeginn zurück zu sein. Ich mag von Natur aus die Küstenregionen, den Bodensee und Schwarzwald, die Müritz, vor allem auch den Spreewald und in Chemnitz den Botanischen Garten, das Wildgatter und den Stadtpark. Und auch wenn das viele Einwohner anders sehen, aber im Vergleich zu englischen Verhältnissen ist das hier für Radfahrer ein Paradies“, sagt einer, der es wissen muss, zwar einen Führerschein, aber noch nie ein eigenes Auto besessen hat.
Vielseitiger Fußballfan
Besessen wiederum als im Mutterland des Fußballs geborener Sohn war und ist er von der Fußballtradition Sachsens. Regelmäßig fuhr er zu den Bundesligaspielen vom VfB Leipzig und Dynamo Dresden, war auch 1992 bei der Sensation im DFB-Pokal-Viertelfinale dabei, als der Chemnitzer FC den amtierenden europäischen Pokalsieger Werder Bremen, der in jener Saison auch Deutscher Meister wurde, nach Verlängerung bezwang und sah später den Stern eines gewissen Michael Ballacks aufgehen, der seine Karriere wiederum beim FC Chelsea in England ausklingen ließ. „Auch in Aue und Zwickau bin ich gern. Das ist mein „Privileg“ als Ausländer, sich nicht von den Lokalrivalitäten abhalten zu lassen. Würden die Vereine hier zusammen- statt gegeneinander arbeiten, wäre man längst in der Bundesliga.“
„German Bratwurst“
Andererseits sieht er die Kommerzialisierung des Fußballs eher kritisch und besucht inzwischen lieber Spiele von Fortuna Chemnitz oder Handwerk Rabenstein, wo man sich untereinander kennt. Auch zum Basketball und Eishockey geht er hin und wieder. Eine „German Bratwurst“ und deutsches Bier gehören natürlich immer dazu. „Den international vorauseilenden Ruf einer Sportstadt hat Chemnitz aber leider in all den Jahren verspielt.“ Die Zeiten ändern sich. Auch das Profil der Schule. Im Fokus steht die Ausbildung von Erzieher*innen und Pflegefachkräften. „Und mit den jüngsten Einwanderungswellen ist Englisch eher in den Hintergrund getreten und Deutsch als Zweitsprache gefragt.“
Not Business as Usual
Dafür ist Andrew jetzt wieder viel unterwegs, statt in der Schule zu Inhouse-Schulungen in die Unternehmen vor Ort, die ihr Business English und damit ihre Marktposition verbessern wollen. „Die vielen verschiedenen Firmen und Mitarbeiter persönlich kennenzulernen und zum Erfolg beitragen zu dürfen, macht mir großen Spaß!“ Englischkurse sind für ihn kein Business as usual, sondern eine Berufung und individuell konzipiert. Weiterbilden muss dabei auch er sich. „Die englische Sprache verändert sich sehr schnell und es ist notwendig, Tageszeitungen und Fachzeitschriften zu lesen, Radiosendungen und Podcasts anzuhören, um auf dem Laufenden zu bleiben.“
Digitalisierung ja, Automatisierung nein
Die zunehmende Digitalisierung erleichtert ihm dabei vieles, aber die Automatisierung sieht er auch skeptisch. Zahlreiche Übersetzungs-Apps und E-Learning-Programme machen seiner „Gilde“ nunmehr Konkurrenz. Vorsprung durch Technik? „Bei Sprachkursen sollte immer auch das Zwischenmenschliche eine Rolle spielen. Erfahrungen wiedergeben und Geschichten, die das Leben so schreibt, kann kein Computer erzählen!“ Und davon hat Andrew eine Menge auf Lager.
Text: Lutz Bartel
Bildquelle Beitragsbild: © Bennian/shutterstock.com [su_spacer]