Hat das Internet unser Denken verändert?

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Die Einleitung muss krachen. Denn wenn ich Sie langweile, haben Sie diesen Artikel ganz schnell weggeklickt. Überflutet von Informationen müssen wir direkt entscheiden, was relevant ist. Das wirkt sich natürlich auf unser Denken aus, schließlich muss das Gehirn viel mehr verarbeiten und filtern als noch vor 30 Jahren. Deshalb ist es eigentlich Unsinn zu fragen, ob das Internet unser Denken verändert hat. Die Frage ist viel mehr: Wie hat das Internet unser Denken verändert?

Wir sind Goldfische

Laut einer Studie von Microsoft aus dem Jahr 2015 beträgt unsere Aufmerksamkeitsspanne heute nur noch acht Sekunden. Damit wurden wir vom Goldfisch überholt – der kann sich zumindest neun Sekunden lang auf eine Sache konzentrieren. Ständig werden wir abgelenkt von WhatsApps, Mails und Likes, immer erreichbar, doch immer nur mit halbem Herzen dabei. Aber stimmt das wirklich? Ja, wenn ich einen Text lese, überfliege ich ihn und entscheide dann, ob es sich lohnt, tiefer einzusteigen. Auch Sie werden in diesem Artikel erst die Überschriften checken und vielleicht gar nicht bis ans Ende dieses Absatzes lesen, wenn nicht gleich etwas Spannendes kommt. Hier ist etwas: Wir können Informationen effizienter aufnehmen und Relevantes besser herausfiltern als unsere analogen Vorfahren.

Eine vierseitige Abhandlung über das Paarungsverhalten von Mehlwürmern würde meine Aufmerksamkeitsspanne wahrscheinlich übersteigen. Ein neuer Insta-Post von Heidi Klum und ich bin weg. Ich kann aber schnell die wichtigsten Punkte herausfiltern und nebenbei noch die Story von Heidi anschauen – Effizienz und Multitasking vom Feinsten! Unser Denken hat sich also verändert: Wir nehmen Informationen heute anders auf. Ob das nun besser oder schlechter ist, ist erstmal Ansichtssache.

Dieser Goldfisch kann sich länger konzentrieren als Sie

Die Filterblase

Wir klicken gerne auf Dinge, die uns interessieren und die unsere Meinung widerspiegeln. Das ist ja nicht verwerflich, auch in einer gedruckten Zeitung liest man doch zuerst die Nachrichten, die man spannend findet. Das Problem ist aber, dass Google, Facebook und Co. den Inhalt speziell auf die Nutzer zuschneiden. Wer oft Artikel anklickt, die behaupten, dass der Klimawandel nicht existiert, wird noch mehr Beiträge und Videos zu dem Thema vorgeschlagen bekommen. Die Freunde in den sozialen Netzwerken haben wahrscheinlich eine ähnliche Einstellung – und schon befindet man sich in der Filterblase. Man bekommt nur noch seine eigene Meinung angezeigt, wird nicht mehr herausgefordert und muss nicht mehr diskutieren. Praktisch! Ob wir uns wirklich alle in Blasen bewegen, ist allerdings umstritten. Man kann das ja ganz leicht selbst überprüfen: Sie müssen nur einen kontroversen Artikel anklicken und in die Kommentarspalte schauen. Hier finden sich sicher auch ein paar User, die anderer Meinung sind als Sie. Trotzdem ist es natürlich so, dass wir durch Algorithmen viele Inhalte gar nicht erst angezeigt bekommen. Darunter sind vielleicht auch Inhalte, die uns zum Denken anregen würden.

Das Gedächtnis wird ausgelagert

Wir haben ja Zugriff auf fast alle Informationen der Welt. Ein kleines Smartphone weiß, was die Hauptstadt von Malaysia ist, wie man die Nullstellen von quadratischen Funktionen berechnet und warum der Himmel blau ist – und wir schauen damit Katzenvideos und posten Fotos von unserem Essen. Das Internet fungiert als kollektives Gedächtnis für die ganze Menschheit. Ist es gut, dass wir uns Informationen nicht mehr selbst merken müssen? Oder können wir irgendwann gar nicht mehr denken, weil unser Gedächtnis verkümmert? Schon Einstein hat gesagt: „Wissen heißt wissen, wo es geschrieben steht.“ Und auch die Menschen vor uns haben sich ja nicht alles selbst gemerkt. Ob durch Bücher, Zeichnungen oder rituelle Tänze – die Menschheit hat immer danach gestrebt, Informationen kollektiv zu speichern. Jetzt haben wir endlich eine globale Methode gefunden. Viel wichtiger aber wäre es, die neuen Möglichkeiten auch zu nutzen, zum Beispiel in der Bildung und in der Arbeitswelt.

Das Denken ist im ständigen Wandel

Das Surfen im Internet verändert tatsächlich unser Gehirn: Neuroplastizität lautet das Stichwort. Das bedeutet, dass unser Gehirn unser Leben lang formbar ist und neue Verknüpfungen bildet. Das Gehirn eines Blinden ist anders verknüpft als das eines Sehenden – genau wie bei einem Internetnutzer und einem Menschen, der sich nur analog bewegt. Aber das Internet ist nicht die erste Neuerung, die die Menschheit dauerhaft prägt und damit auf Widerstand stößt. Schon beim Siegeszug der Schrift regte sich im antiken Griechenland harsche Kritik: Schließlich mussten die klassischen Dramen nun nicht mehr auswendig gelernt werden. Anstatt sein Gedächtnis zu bemühen, konnte man die Informationen einfach in der Bibliothek bekommen – Google der Antike also. Das zeigt uns doch, dass der Mensch sich den verschiedensten Umständen anpassen kann. Unser Gehirn ist keine starre Rechenmaschine, sondern im ständigen Wandel. Das Denken hat sich schon immer verändert und wird sich auch weiterhin verändern.

Wie sehr sich die Digitalisierung auf den Menschen auswirkt, wird man natürlich erst in Zukunft sagen können. Wir stecken ja noch mittendrin in einer Entwicklung, die uns vielleicht flexibler und effizienter macht ­– oder uns alle verdummen lässt. Genießen wir die Reise und schauen, was passiert!

Autor

Anna Rüppel

Anna Rüppel ist mit 1,78 m die Größte, wenn es um Ausbildung und Beruf geht. Als Kind war sie kleiner. Von April 2019 bis November 2022 schrieb sie kleinere und größere Artikel für das Euro Akademie Magazin.