Glück und neue Medien – Professorin für Wirtschaftspsychologie im Interview

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„Technik verbindet“ – diesen Slogan eines bekannten Telekommunikationsdienstleisters haben wir alle im Ohr. Dass Technik auch trennen kann, erfahren wir spätestens dann, wenn unser Gegenüber bei einem romantischen Abendessen, auf sein Smartphone starrt, statt uns in die Augen zu sehen.

Professor Sarah DiefenbachIn dem Buch „Digitale Depression – Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändern“, geht es um den Einfluss der neuen Medien auf unser Wohlbefinden. Mit Autorin Sarah Diefenbach, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München haben wir über Glück, Neid und Aufmerksamkeit in Zeiten der Digitalisierung gesprochen.

Frau Professor Diefenbach, was bedeutet Glück im Zeitalter der neuen Medien?

In unserem Buch ist die Frage nach dem Glück die Frage nach dem Wohlbefinden im Hinblick auf die Nutzung der neuen Medien. Was macht es mit mir, wenn ich mit den neuen Medien interagiere? Tut es mir gut? Bringt es mir das, was ich mir davon erhoffe? Das ist ja gerade bei sozialen Netzwerken, die man nutzt, um sich mit anderen verbunden zu fühlen und Kontakte zu pflegen, eine wichtige Frage. Beim Glücksbegriff, wie wir ihn hier verwenden, geht es um Bedeutsamkeit. Das Glück zu spüren, wenn wir den Moment genießen. Aufmerksamkeit dafür zu haben, was gerade passiert.

Der Titel Ihres Buches „Digitale Depression“ klingt dramatisch. Werden wir jetzt alle depressiv durch die Nutzung der neuen Medien?

Digitale Depression - Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändernDepression verwenden wir hier als Buzzword, um darauf hinzuweisen, dass die Nutzung neuer Medien nicht nur kognitive Auswirkungen auf den Menschen hat. Digitale Demenz ist ein Schlagwort, das bereits viel diskutiert wird – was macht die ständige Nutzung der digitalen Kommunikationsmittel mit unserem Gehirn? Können wir die vielen Informationen überhaupt noch verarbeiten? Um diese Dimension zu erweitern, stellen wir die Frage: „Wie fühlen wir uns?“ Und auf sozialer Ebene: „Wie verändern sich Beziehungen zwischen den Menschen?“

Schauen Sie sich die Situation auf dem Buch-Cover an – ein Paar wendet sich beim romantischen Dinner lieber dem Mobiltelefon als dem Partner zu. Das ist auch ein Fall von digitaler Depression, wenn sich beim Einsatz eines durchaus sinnvollen Mediums, das uns das Leben erleichtern soll, ein ungewollter Seiteneffekt einstellt – eine unerwünschte Nebenwirkung. Wir rutschen automatisch in Verhaltensmuster rein, die so niemand gewollt hat.

Sie schreiben in Ihrem Buch, die sozialen Medien machen neidisch auf das Leben anderer. Könnte man nicht auch sagen, ich freue mich für den anderen und lasse mich davon begeistern? Vielleicht bereichert mich das ja.

In Teilen gelingt das auch – es gibt hierzu wissenschaftliche Studien, die genau untersuchen, wie stark Neidgefühle ausgeprägt sind, je nachdem, wie eng die Freundschaften sind. Dort zeigt sich, dass man sich mit guten Freunden, die man auch außerhalb der sozialen Netzwerke kennt, durchaus freuen kann. Insgesamt bekommen wir durch die sozialen Medien aber ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit – jeder schönt das eigene Leben. Abgebildet werden nur die besten Momente. Das wirkt so auf uns, als wäre das Leben eine große Party und alle anderen hätten ein besseres Leben als wir selbst. Am Ende fühlen sich alle als Verlierer.

Wie kann es sein, dass wir einerseits immer mehr über Achtsamkeit reden, Yoga machen, uns bewusst ernähren und uns andererseits dem Rhythmus der neuen Medien anpassen?

Man hat das Gefühl, wir bewegen uns immer mehr weg von der natürlichen Achtsamkeit im Alltag. Wenn ich die Straße entlang gehe – nehme ich mir dann die Zeit meine Umgebung wahrzunehmen? Widme ich mich bewusst einer Sache oder bin ich im Multitasking-Modus und mache drei Dinge gleichzeitig? Wenn ich wieder zehn Nachrichten auf WhatsApp habe, könnte ich mich ja fragen, ob ich die jetzt lesen möchte oder es nur aus einem Reflex heraus tue, weil ich es so gewohnt bin. Selbst die Zeit der Entspannung wird oft mit dem Einsatz von Technik optimiert. Die alltägliche Achtsamkeit kommt dabei zu kurz.

Wenn man sich anschaut, wie sich Menschen in den sozialen Netzwerken bewegen, wie aktiv sie sind, was sie von sich preisgeben – welche Rückschlüsse lässt das auf das reale Leben zu?

Mit solchen allgemeinen Rückschlüssen ist es schwierig. Natürlich kann man sich schon fragen, welches Bedürfnis steckt dahinter, wenn man sein Leben stark in den sozialen Netzwerken präsentiert und darstellt. Wenn man gewonnene „Likes“ als Glückselexier sieht, muss man sich fragen, ob man das gewünschte Ziel damit erreicht. Man begibt sich in einen ewigen Wettbewerb – einmal „Likes“ zu bekommen reicht nicht. Das Netz ist voll von Menschen, die dem gleichen Trend hinterherrennen und man muss immer noch ein Stück aufregender sein als die Anderen. In den sozialen Medien ist man im ständigen Vergleich mit anderen. Man gibt ein Stück weit die Verantwortung der Definition von Glück im eigenen Leben an Dritte ab. Es kommt nicht mehr darauf an, ob ich mich im Moment wohlfühle, sondern, ob ich den Moment möglichst gut festhalte, ihn vorteilhaft dokumentiere und präsentiere.

Technik ermöglicht es uns, viele Dinge schneller zu tun als es ohne technischen Einsatz möglich war. Wir versuchen an jeder Stelle Zeit zu sparen. Was machen wir eigentlich mit der gewonnen Zeit?

Das ist eine gute Frage. Man hat das Gefühl, die Effizienzsteigerung funktioniert nicht so richtig. Man muss sich aber schon vor Augen halten, dass wir durch diese ganzen Dienste und sozialen Netzwerke wie Facebook und WhatsApp ja auch viele Aktivitäten dazubekommen haben, die wir früher nicht hatten. Es gibt kein Ende des Angebotes mehr, wie zum Beispiel im Fernsehen, wenn der Film zu Ende ist. Sie können alleine mit den Angeboten auf YouTube Ihre Zeit füllen – jede Minute kommen neue Beiträge dazu. Wir haben also auch immer mehr potentielle Zeitfresser zur Verfügung. Es ist nicht leicht, das zu erkennen – oft lassen wir uns einfach mitreißen.

Wir verlagern also unser reales Leben in eine virtuelle Welt? 

Die Frage ist, ob es möglich ist, diese beiden Welten noch voneinander zu trennen. Menschen definieren sich über ihre Präsentation in sozialen Netzen – dort findet ja auch reale Kommunikation statt. Trotzdem werden die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt immer fließender.

Sie schreiben, dass wir darunter leiden, wenn wir in den sozialen Medien nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die wir uns wünschen. Wieso schalten wir dann nicht einfach einen Gang zurück und widmen uns dem realen Leben?

Oft ist uns unser eigenes Verhalten gar nicht bewusst. Jeder, der schon mal das Ziel hatte, sich in einem Bereich zu verändern, merkt, dass es gar nicht leicht ist, Experte für sich selbst zu sein. Das ist ein schleichender Prozess, man hat ja in den sozialen Medien nicht von Anfang an schlechte Erlebnisse. Das richtige Maß im Umgang damit zu finden und zu merken, welche Momente und Aktivitäten tun mir gut und auf welche könnte ich verzichten, ist nicht leicht. Die sozialen Medien haben den Effekt eines Glücksspielautomaten – ab und zu hat man einen Gewinn, die anderen Male ist man enttäuscht. Die Hoffnung Aufmerksamkeit zu gewinnen hat sich bei Menschen, die soziale Netzwerke nutzen, stark eingebrannt. Oft nutzen wir die sozialen Medien auch aus Langeweile oder um uns zu entspannen, beispielsweise nach einer anstrengenden Arbeit.

Das heißt, wir belohnen uns mit der Nutzung sozialer Medien?

Das ist die Motivation – wir möchten uns belohnen, uns gut fühlen. Es ist eben die Frage, ob sich die Belohnung dann auch einstellt. Es ist bequemer sich im Internet zu bewegen als sich zu einem Spaziergang aufzuraffen oder ein paar Yogaübungen zu machen. Wir bewegen uns tendenziell lieber im Konsummodus als im Kreationsmodus.

Während das Fernsehen, die Literatur und die Radiosender uns das Programm vorsetzten und wir nur konsumieren durften, sind wir durch die neuen Medien heute alle zu Sendern und Empfängern geworden –  von Konsumenten zu Akteuren und Gestaltern. Eigentlich müssten wir uns doch aus dem Konsummodus heraus hin zum Kreationsmodus bewegen.

Im Bereich der Medien auf jeden Fall. Wir haben aber heute auch viel mehr Konsumangebote als früher, als wir noch auf Zeitung, Fernsehen und Radio beschränkt waren. Damals gab es aber auch Momente der Langeweile, in denen man aus sich selbst heraus kreativ werden musste. Allein das Internet bietet unendlich viele Möglichkeiten, sich berieseln zu lassen. Natürlich gibt es auch ganz viele positive Potentiale durch die neuen Medien. Der Austausch zwischen Medien und Konsumenten ist eine Bereicherung. Die klassischen Medien müssen aber erstmal lernen, wie sie mit diesen neuen Anforderungen umgehen.

Viele sind überfordert von den Möglichkeiten, die uns das Leben heute bietet – alles ist machbar.

Wir empfinden heute den Druck, alles zu optimieren. Es gibt für alles eine App, wir überlassen nichts mehr dem Zufall. In einer fremden Stadt schlendern wir nicht mehr drauflos, um verborgene Ecken zu entdecken. Wir suchen nach den besten Highlights, dem besten Restaurant – das nimmt uns den Raum, etwas selbst zu entdecken.

Haben Sie ein paar Tipps, wie wir uns vor dieser Überforderung schützen können?

Nehmen Sie sich einen Tag in der Woche vor, an dem Sie ganz bewusst Technik einsetzen und beobachten mal, wie Sie sich fühlen. Auf welche Momente in den sozialen Medien könnte ich verzichten? Wann könnte ich meine Zeit bewusst mit etwas anderem füllen? In unserem Leben schleichen sich sehr schnell Routinen ein. Außerdem könnten Sie sich bewusst dafür entscheiden, sich während der Bahnfahrt anderen Dingen als dem Smartphone zu widmen – Sie könnten ein Buch lesen oder eine neue Sprache lernen. Schaffen Sie sich wieder einen Wecker an, anstatt mit dem Smartphone in den Tag zu starten und noch halb im Schlaf mit den eingegangenen Nachrichten konfrontiert zu werden. Überlegen Sie beim Fotografieren, ob Sie auch noch ein zehntes Bild vom gleichen Motiv brauchen oder ob Sie sich nicht lieber wieder dem Moment zuwenden, statt der Kamera.

Was halten Sie von der Einführung des Schulfaches Medienkompetenz bereits ab der Grundschule?

Das wäre auf jeden Fall gut, da die Medienwelt immer schwerer zu durchblicken ist. Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und die Schulung des kritischen Denkens einführen – die Medienkompetenz könnte ein Teil davon sein.

Vielen Dank für das Interview, Frau Professor Diefenbach!

Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.