Schlaf – eine unterschätzte Superkraft

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Schlafstörungen sind altersübergreifend zu einer wahren Volkskrankheit avanciert. Auch immer mehr Schüler*innen und Auszubildende haben, nicht zuletzt durch die Pandemie, die Klimaproblematik und Kriege, immer mehr (Existenz-)Sorgen, die sie um den Schlaf bringen.

Wie er gelingt und wie man Schlafstörungen eliminiert

Im Interview verrät uns Schlafexperte und Coach Johannes „Joe“ Sartor die elementaren Bausteine für eine gesunde Schlafhygiene. Als Schlafprofi gibt er außerdem Tipps und Übungen an die Hand, wie man sich Schritt für Schritt seinen Schlaf zurückerobern kann.

Euro Akademie: Viele Menschen kämpfen jede Nacht aufs Neue darum einmal richtig tief und vor allem durchzuschlafen. Was sind laut Deiner Erfahrung die größten Ursachen oder Auslöser für Schlafmangel, Joe?

Joe Sartor: Die Ursachen für Schlafmangel sind sehr vielfältig und individuell. Fakt ist jedoch, dass wir in einer anderen Welt als noch vor 100 Jahren leben. Insbesondere die voranschreitende Digitalisierung ist für viele Menschen ein Fluch und Segen zu gleich. Für den Schlaf definitiv eher ein Fluch. Das Smartphone im oder am Bett, Social Media rund um die Uhr oder auch die abendliche TV-Routine, wirken sich negativ auf den Schlaf aus. Insbesondere am Abend, die letzten ein bis zwei Stunden vor dem Zubettgehen, sollte konsequent auf digitale Medien verzichtet werden. Außerdem kommt hinzu, dass das Leben generell schneller wird, wodurch eine Reizüberflutung entsteht. Kommt dann noch privater und beruflicher Stress hinzu, dann sind Schlafprobleme vorprogrammiert.

Die Grundlage für einen tiefen und erholsamen Schlaf ist Entspannung. Mit der geistigen Entspannung haben aus meiner Sicht die meisten Menschen heutzutage zu kämpfen. Deshalb ist es besonders wichtig, dem Geist die Möglichkeit zu geben, wichtige Lebensthemen zu verarbeiten. Stattdessen flüchten sich viele in die digitalen Medien und verschärfen dadurch die Schlafprobleme zusätzlich. Ich empfehle deshalb, am Abend für mindestens 30 Minuten eine echte Wohlfühl- und Entspannungsroutine zu haben. Wer häufig wegen der eigenen Gedanken nicht einschlafen kann, sollte sich außerdem Zeit nehmen, die Gedanken aufzuschreiben und zu reflektieren.

Weg vom Stress heißt hin zum Schlaf

Euro Akademie: Ab wann spricht man von ernsthaften und pathologischen Schlafschwierigkeiten?

Joe Sartor: Solche starken Schlafprobleme werden auch als „Insomnie“ bezeichnet. Fachleute und Schlafmediziner sprechen von einer Insomnie, wenn Menschen mindestens dreimal pro Woche über einen Monat Ein- oder Durchschlafprobleme haben und morgens nicht erholt sind.
Bei den Betroffenen dreht sich außerdem in der Gedankenwelt viel um den eigenen Schlaf. Quälende Gedanken wie „Ich muss jetzt unbedingt schlafen, um morgen fit zu sein“ oder „Wie soll ich mit so wenig Schlaf nur durch den Tag kommen?“ sind ständige Begleiter. Wer bei sich selbst solche Schlafproblematiken erkennt, sollte sich umgehend professionelle Hilfe suchen.

Euro Akademie: Was hältst Du als Schlafprofi vom frühen Unterrichtsbeginn an Schulen und was vom Snooze-Alarm?

Joe Sartor: Sowohl vom frühen Unterrichtsbeginn als auch vom Snoozen am Morgen halte ich nicht viel. Für viele Schülerinnen und auch Lehrerinnen ist der Unterrichtsbeginn einfach zu früh. Das hängt mit dem individuellen Biorhythmus bzw. Chronotypen zusammen. Unsere Gesellschaft ist immer noch auf Frühaufsteher, die sogenannten Lerchen, ausgelegt. Insbesondere viele junge Menschen gehören aber eher zu den Eulen, also den Spättypen. Hier kommt es insbesondere beim Schulsystem schnell zu Schwierigkeiten. Einige können sich vormittags gut konzentrieren und andere blühen erst am Nachmittag richtig auf. Allen kann man es aber natürlich nicht recht machen. Das historisch schlechte Abschneiden bei der Pisa-Studie zeigt deutlich, dass das Schulsystem sowieso einen Wandel benötigt. Mehr Flexibilität beim Unterrichtsbeginn wäre ein Punkt, den ich als Schlafexperte mit in die Diskussion einbringen würde.

Bei der Snooze-Taste am Morgen gibt es hingegen nichts zu diskutieren. Für den Moment fühlt es sich gut an, sich nochmal für fünf oder zehn Minuten umzudrehen. Erholung bringen diese Minuten jedoch nicht mehr und je öfter man die Taste dann noch drückt, umso schwieriger wird es oft sogar in den Tag zu starten. Generell empfehle ich keinen Wecker zu nutzen und das Schlafverhalten so anzupassen, dass man morgens automatisch ohne Wecker wach wird.

Chronotyp: Früher Vogel oder Nachteule

Euro Akademie: Gibt es eine empfohlene Uhrzeit, zu der es biologisch am sinnvollsten und einfachsten ist, einzuschlafen?

Joe Sartor: Das hängt stark mit dem individuellen Chronotypen bzw. Schlaftypen ab. Ein einfacher Grundsatz, den ich meinen Coaching-Kund*innen gerne mitgebe, ist die „M-17-Regel“. Häufig hängen Einschlafprobleme damit zusammen, dass wir den Absprung am Abend verpassen. Wir waren schon müde und 30 Minuten später sind wir wieder hellwach. An Einschlafen ist jetzt nicht mehr zu denken. Hier kommt die „M-17-Regel“ ins Spiel. Die Regel besagt, dass wir nach dem ersten Müdigkeitsreiz 17 Minuten haben, um ins Bett zu kommen, dann klappt es auch mit dem guten Einschlafen. Gerne ausprobieren!

Euro Akademie: Ab wann sollte man sich als Schlaflose*r in ein Schlaflabor begeben bzw. ab wann reicht ein Coaching, wie Du es anbietest, nicht mehr aus?

Joe Sartor: Liegen starke und regelmäßige Schlafprobleme seit längerem vor, sollte immer der Arzt des Vertrauens aufgesucht werden, um sich einem ganzheitlichen Gesundheitscheck zu unterziehen. Ein Besuch im Schlaflabor kann dann der nächste Schritt sein und ist in jedem Fall sinnvoll, um weitere Informationen über das eigene Schlafverhalten und auch über eine mögliche Schlafapnoe zu erfahren. Mit einem Schlafcoaching können wir dann sehr gut mit diesen Informationen arbeiten und den Schlaf sehr gut optimieren. Ein Besuch im Schlaflabor und ein Coaching ergänzen sich deshalb sehr gut. Wer nicht direkt in ein Schlaflabor gehen möchten, kann sich das Schlaflabor heutzutage auch in abgespeckter Variante über Schlaftracker in das eigene Schlafzimmer holen. In unseren Coachingsarbeiten wir ebenfalls mit solchen Technologien, um mehr Informationen über den Schlaf unserer Kund*innen zu bekommen. Denn nur wer weiß, wo die Probleme liegen, kann diese zielgerichtet angehen und Lösungen finden.

I’ve Got The Power

Euro Akademie: Ist Powernapping eigentlich überbewertet und kann man es lernen?

Joe Sartor: Powernapping ist eine super Möglichkeit, um sich nochmal kurz einen Energiekick zu holen. Insbesondere, wenn der Schlaf in der letzten Nacht nicht so erholsam war. Wichtig ist jedoch, dass der Powernap nicht zu einem längeren Mittagsschlaf wird. Ein Powernap sollte maximal 20 Minuten lang sein, damit der Körper nicht in die Tiefschlafphase kommt. Die Erfahrungen zeigen, dass sich viele Menschen sonst müder als vorher fühlen, wenn sie aufwachen. Es ist generell nicht sinnvoll, zu viel am Tag zu schlafen, da so der Schlafdruck für den Nachtschlaf sinkt. Das kann dann zu erneuten Schlafproblemen in der Nacht führen. Ein Teufelskreis. Eine gute Alternative für etwas Erholung ist NSDR oder auch Yoga Nidra. NSDR steht für „Non-Sleep-Deep-Rest“ und wirkungsvolle Methode, um sich schnell und tief zu entspannen.

Euro Akademie: Gibt es Abende, in denen Du auch noch einmal Schwierigkeiten hast, einzuschlafen oder gehört das komplett der Vergangenheit an?

Joe Sartor: Definitiv! Besonders an stressigen Tagen oder in neuen Umgebungen fällt es mir manchmal nicht leicht einzuschlafen. Und auch die normalen Herausforderungen des Lebens lassen das Gedankenkarussell manchmal Überstunden machen. Und das ist auch ganz normal, schlechter Schlaf gehört zum Leben dazu. Niemand schläft jede Nacht perfekt. Auch ich nicht! Aber ich weiß, was zu tun ist, damit schlechter Schlaf eine Ausnahme bleibt.

Euro Akademie: Vielen Dank für das Interview, Joe.

Titelbild: Schlafonaut

Autor

Katina Kampardina

Seit 2014 schreibt die Online-Redakteurin für die Euro Akademie. Im Magazin widmet sie sich den Interviews mit interessanten Gesprächspartner*innen zu unterschiedlichsten Themen.