Dolmetschen kann man lernen – dafür müssen Sie kein Native Speaker sein!

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„Mach doch was mit Sprachen.“ Diesen Satz hören viele junge, sprachaffine Erwachsene im Berufsfindungsprozess. Was dieses ‚was mit Sprachen‘ jedoch genau heißt, ist vielen nicht klar – und doch ist es genau das Detail, worauf es ankommt. Wer die praktische Anwendung der Sprache bevorzugt, sollte sich den Beruf des Dolmetschers und Übersetzers einmal näher ansehen. 

Einige entscheiden sich, die Sprachkompetenz eher hintenanzustellen und studieren Slawistik, Anglistik oder Hispanistik. Sie lernen zwar die Sprache, jedoch ist diese eher Mittel zum Zweck, die jeweilige Kultur zu dechiffrieren, durch Sprache kulturelle Deutungsmuster zu erkennen. Im Vordergrund steht das Beschäftigen mit Geschichte, Literatur und Kultur.

Dolmetschen – der lebendige Umgang mit Sprache im Vordergrund

Ausbildung zum DolmetscherWer jedoch die Sprache und den Umgang mit ihr in den Vordergrund rücken will, lernt oder studiert dann doch besser Dolmetschen oder Übersetzen. Bei diesen Tätigkeiten geht es um das Eintauchen in die Sprache, das Aneignen eines sprachlichen Baukastens. Auch das Einüben des Übersetzens von Begriffen aus der Ausgangs- in eine Zielsprache ist eine wichtige und anspruchsvolle Leistung, denn das reine Übertragen von Wörtern entspricht oft nicht dem Sinn des Gesagten oder Geschriebenen. Es geht um ein tiefes Begreifen von sprachlichen Strukturen und kulturellen Mustern, die sich in Sprache manifestieren. Eine Tatsache, welche die Klischees über diese beiden Berufe oft außen vor lässt.

Mehrsprachigkeit nicht immer ein Vorteil

Beim Dolmetscher hält sich das Klischee seit eh und je, dass er bilinugal oder multilingual aufgewachsen sein sollte. Also soll er Muttersprachler in beiden oder mehreren Sprachen sein. De facto ist es aber bei Bilingualen oft so, dass sie parallel zu lernende Sprachen langsamer lernen und einen unterschiedlich breiten Wortschatz in beiden Sprachen haben können. Die Sprachkompetenz kann also darunter leiden. Der Wortschatz beider Sprachen kann sich ferner vermischen, was ein zufriedenstellendes Translationsergebnis fast unmöglich macht. Denn wer übersetzen oder dolmetschen will, muss die Sprachen in getrennten ‚Baukästen‘ abspeichern. So erlebt man in der Praxis nicht selten, dass sich bi- oder multilinguale Schüler beim Dolmetschen schwerer tun als andere.

Auch wenn durch das zweisprachige Aufwachsen der Erwerb weiterer Sprachen erleichtert wird, heißt das noch lange nicht, dass es diesen Menschen leicht fällt, das Code-Switching, also das Springen von der einen zur anderen Sprache und andere kognitive Operationen beim Dolmetschen durchzuführen. Um jedoch von vereinfachenden Klischees wegzukommen, muss erwähnt werden, dass auch bi- oder multilinguale Menschen gute Dolmetscher werden können und oft werden. Es spielen hier viele weitere kognitive Faktoren eine Rolle.

Gute Übersetzungen durch bewussten Umgang mit der Sprache

Klischee Nummer zwei findet sich besonders oft in Stellenanzeigen und liest sich wie folgt: ‚Native speakers only‘. Die Grundannahme, die in diesem Klischee steckt, ist, dass der Muttersprachler der beste Übersetzer und Dolmetscher sei. Eine starke Vereinfachung. Wer eine Sprache natürlich erwirbt, dem fehlt oft die Bewusstheit zur Struktur derselben. Der Muttersprachler kann vielleicht bestätigen, ob etwas in seiner Sprache richtig oder falsch klingt, aber ihm fehlt häufig die Fähigkeit der Reflexion und Anpassung des sprachlichen Phänomens. Und das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Dolmetscher und Übersetzer der Beschäftigung mit diesem Phänomen lange Ausbildungsjahre widmen und sich auch danach nicht einfach auf ihren Instinkt verlassen, sondern genau prüfen, ob der Text in der Zielsprache funktioniert. Hier trennt sich tatsächlich die Spreu vom Weizen. Der Fachmann nimmt sich Zeit, recherchiert, lernt, eignet sich fachsprachliche Inhalte und Zusammenhänge an und kommt zu seinem Urteil. Der Muttersprachler verlässt sich häufig auf sein Gefühl und ein Sprachwissen, das subjektiv und instinktiv ist und sich oft auf allgemeinsprachliche Inhalte beschränkt.

In der Ausbildung zum Übersetzer und Dolmetscher an der Euro Akademie machen wir uns nicht viel aus Klischees. Wir bilden Menschen mit unterschiedlichen Sprachenportfolios aus, eine Bewusstheit für ihre Arbeitssprachen (Englisch und Deutsch) zu entwickeln, Strukturen zu erkennen, kulturelle Stile und Muster zu dekodieren und schließlich eine optimale Entsprechung in der Zielsprache zu finden und diese begründen zu können. Hier zählt nicht, wie viele Sprachen unsere Teilnehmer sprechen, sondern, ob sie sich das Sprachenpaar wirklich zu eigen gemacht haben. Nur dann werden aus den Auszubildenden qualifizierte und selbstbewusste Dolmetscher und Übersetzer, die sich durch ihre Fertigkeiten auf dem Markt behaupten können.

Text: Katharina Kutzias, Diplom-Dolmetscherin, Dozentin Fachbereich Management & Internationales, Leitung Ausbildung zum Übersetzer und Dolmetscher an der Euro Akademie Berlin

Quelle: http://paedagogik-news.stangl.eu/mehrsprachigkeit-chance-oder-risiko/

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