Große Ferien, große Freiheit! Warum wir auch mal lernfreie Zeit brauchen

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Vielleicht haben Sie den Begriff „Kartoffelferien“ schon einmal irgendwo gehört oder gelesen. Er stammt aus der Zeit, bevor schwere Maschinen die Felder beackerten und stattdessen noch Kinderhände diese Arbeiten übernahmen. Lange schon ist er durch das Wort „Herbstferien“ ersetzt worden. Dabei drückte die überholte Ferienbezeichnung aus, was die Schulkinder in der freien Zeit zu tun hatten: Kartoffeln ernten. Heutzutage ist es nicht so klar, wie Schüler ihre Ferien verbringen sollten. Einige greifen zur Play Station, manche fahren mit den Eltern an unbekannte Urlaubsorte und wieder andere nutzen die Zeit, um Lernstoff aufzuholen oder zu vertiefen. Aber ist Lernen wirklich der Sinn der Ferien?

Das Schönste im Leben ist die Freiheit

„Das Beste am ganzen Tag, das sind die Pausen. Das war schon immer in der Schule so. Das Schönste im ganzen Jahr, das sind die Ferien, dann ist sogar auch unser Lehrer froh.“, trällerte ich als Grundschulkind fröhlich im Wohnzimmer meiner Oma, während die Nadel des Schallplattenspielers verlässlich ihre Runden über die Kurzspielplatte mit den fröhlichen Gesichtern von Roy Black und Anita auf der Hülle drehte. Es war Anfang August und mir standen sechs lange Wochen ohne strenge Lehrkräfte, Schularbeiten und Hausaufgaben bevor. Stattdessen: Mit den Freundinnen durch die Wiesen und Wälder streifen, gemeinsam am Baumhaus basteln oder ins Freibad radeln und dort den nächsten Wasserrutschenweltrekord aufstellen, um danach zufrieden ins Handtuch eingewickelt Pommes mit Ketchup und Mayo zu futtern. Niemals wäre mir während meiner Schulkarriere auch nur annähernd der Gedanke gekommen, in diesen paradiesischen Zeiten auch nur einen Blick in das Geschichtsbuch zu werfen, um die Hintergründe des Prager Fenstersturzes zu eruieren oder binomische Formeln zu büffeln.

Prädikat: pädagogisch sinnvoll

Tatsächlich sind die Ferien nicht nur eine hervorragende Zeit um zu faulenzen, sondern auch wichtig, um neue Kraft zu tanken. Und anschließend mit frischer Motivation und einem leeren Kopf, der nur darauf wartet, mit wichtigem Wissen befüllt zu werden, ins neue Schuljahr zu starten. „Ferien sind die längste Pause, die Schüler haben. Und Pausen sind für die kindliche Entwicklung extrem wichtig“, erklärt die Wiener Pädagogin und Psychotherapeutin Ingeborg Saval. Die Lernpsychologie gibt ihr recht. Genauso wie Leistungssportler immer wieder Ruhetage in ihren Trainingsplan integrieren, so benötigt auch unser Gehirn Ruhephasen, in denen das Gelernte verfestigt wird. Michael Felten, Redakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, behauptete in einem Artikel von 2013, dass der IQ von Schülern von Juli bis September merklich absacke. Das ist aber ein Trugschluss, wie Bildungsjournalist Armin Himmelrath 2016 in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur aufzeigte. Das „Sommervergessen“ ist nämlich nur von kurzer Dauer. In Wahrheit ist das Hirn leistungsfähiger, sobald man nach einer längeren Pause wieder mit dem Lernen anfängt.

Aus diesem Grund heißt es beispielsweise in der BaySchO, der „Bayrischen Schulordnung“, unter §28 (1), dass „Sonntage, Feiertage und Ferien (…) von Hausaufgaben freizuhalten“ sind. Wirkliche „Frei-Zeit“ ist also von oberster kultusministerialer Stelle verordnet. Das gilt nicht nur unter weißblauem Himmel, sondern auch für die übrigen Bundesländer.

Bildungspanik greift um sich

Damit stellen die Ferien einen der wenigen sorgenfreien Räume für Schüler dar, denn die Belastungen während des Schuljahres steigen zunehmend. Begleiterscheinung sind ausgebrannte Schüler und durch Bildungspanik in Angst und Schrecken versetzte Familien. Der von der Krankenkasse DAK und dem Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung durchgeführte Präventionsradar deckt seit drei Jahren die Gesundheitsrisiken der aktuellen Schülergenerationen der Jahrgangsstufen 5 bis 10 auf. 40 Prozent der befragten Schüler gaben an, oft oder sehr oft Stress zu erleben. Auch die Angst davor, zu versagen, schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Schulalltag. Der Aussage „Meine Schulleistungen sind sehr wichtig für meine Zukunft und können mein ganzes Leben bestimmen“ stimmten über 80 Prozent der Schüler zu. Verständlich, dass die Schüler mit diesem Mantra im Hinterkopf nur schwer wochenlang die Seele baumeln lassen können.

Ideen für „kontrolliertes“ Lernen

Nun gibt es sicherlich auch Situationen, in denen es sinnvoll ist, während der Sommerferien den Kopf in die Bücher zu stecken. 59 Prozent der Schüler lernen auch in den großen Ferien, ergab eine Forsa-Umfrage unter Eltern im Auftrag des Online-Lernportals Scoyo im Jahr 2017. Entweder, weil durch die gestiegenen Ansprüche der Schulen das Lernpensum in der vorgegebenen Zeit kaum zu schaffen ist, oder um sich auf wichtige Nachprüfungen vorzubereiten. Dabei empfehlen Lernpsychologen, es nicht zu übertreiben. Zwei bis vier Stunden in der Woche sollten reichen, die erste Ferienzeit kann man auch völlig „lernfrei“ halten. Dann kommt vielleicht irgendwann von selbst Langeweile auf und die Lust, das Gehirn zu beschäftigen. Ideal ist es, die Eltern beim Lernen rauszuhalten – so lässt sich das Konfliktpotential innerhalb der Familie reduzieren. Es ist ratsam, professionelle Nachhilfe in Anspruch zu nehmen oder die Kinder in sogenannte Lerncamps zu schicken, in dem die Vermittlung von Lerninhalten und Spaß mit Altersgenossen geschickt kombiniert werden.

Die Euro Akademie Jena bietet beispielsweise einwöchige Englisch-Sprachcamps für 6- bis 14-Jährige in den Sommer- und Herbstferien an. Spielerisch und mit allen Sinnen können die Teilnehmer mit der Hilfe von Muttersprachlern ganz in die Fremdsprache eintauchen – und nach den Ferien ihre Englischlehrer beeindrucken.

Buchtipps:


Ingeborg Saval: „Planet Schule. Gemeinsam unbeschwert den Schulalltag meistern“ (Thieme Trias 2015) / ISBN-13: 978-3830481911

Michael Schulte-Markwort: „Burnout-Kids. Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert“ (Pattloch-Verlag 2015) / ISBN-13: 978-3629130655

Autor

Nadine Elbert

Seit August 2019 schreibt Nadine Elbert hier im Wechsel über Themen aus den Bereichen Ausbildung, Studium und Beruf – und schöpft dabei auch aus ihrem reichhaltigen persönlichen Erfahrungsschatz.