Jomo – oder was Sie gewinnen, wenn Sie etwas verpassen

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Auf Fomo, der Angst etwas zu verpassen, folgt Jomo, die Freude, nicht überall dabei zu sein. Jomo ist die Abkürzung für „Joy of missing out“. Eigentlich bezieht sich das freudige Verpassen vor allem auf die Nutzung digitaler Medien. Wir finden, der neue Trend, der zu einer Lebenseinstellung wachsen kann, lässt sich wunderbar auf unser ganzes Leben übertragen. Und wann sind Sie sich das letzte Mal selbst begegnet?

Kennen Sie das? Der Freitagabend ist da und Sie liegen, alle Viere von sich gestreckt, auf der Couch. Unter Ihnen bilden sich tiefe Mulden in den Polstern, weil Sie kein Fünkchen Körperspannung mehr in sich tragen, um der Schwerkraft auch nur einen Hauch entgegenzusetzen. Willkommen im Club! Und: Kein Wunder, bei dem Pensum an Aktivitäten, die die Allermeisten von uns so runterreißen. Von der Arbeit ins Yogastudio, vom Yogastudio an den Herd, vom Herd an den Laptop – um 22:30 Uhr nochmal schnell die Mails checken, danach noch ein paar Beiträge bei Facebook liken. Morgen nach Feierabend gleich mit Freund*innen auf ein geniales Konzert im Park, um am nächsten Tag im Wirtshaus mal wieder mit den Kolleg*innen Karten zu klopfen. Immer mit dem Zeigefinger am Smartphone, um die neuesten Nachrichten über Hinz und Kunz, die Lage der Nation und den Zustand der Welt nicht zu verpassen.

Die Welt retten wir mit unserem ständigen Aktionismus ganz sicher nicht – und kein bisschen uns selbst. Und warum das alles? Ganz einfach: Wir wollen einfach nichts verpassen. Dass wir unsere digitalen und analogen Antennen bei der Arbeit ausgefahren haben, um keine wichtige Entscheidung zu verpassen, ist vollkommen in Ordnung. Allerdings sollten wir díese auch nach Feierabend wieder einfahren.

Jomo bei der Arbeit

Natürlich sollten Sie auf der Arbeit oder in der Ausbildung die Augen und Ohren offen halten und möglichst nicht verpassen, dass das pädagogische Konzept Ihrer Kita ergänzt wurde oder das Projekt xy früher startet als eigentlich geplant. Aber auch im Job müssen Sie nicht 24 Stunden, 7 Tage die Woche erreichbar sein. Wenn Sie Feierabend haben, checken Sie nicht um 22 Uhr nochmal die Mails oder recherchieren nochmal ganz kurz, wie sich der*die Mitbewerber*in im Internet präsentiert. Sie kommen ja auch nicht auf die Idee, bei der Arbeit Ihr Skateboard auszupacken und neue Tricks zu üben.

Auch in den Pausen sollten Sie nicht immer wieder auf Bildschirm oder Smartphone schielen. Machen Sie lieber einen kleinen Power Nap. Wenn Sie auch im Job immerzu „online“ sind, werden Sie vielleicht manchmal einen kleinen Wissensvorsprung haben, allerdings fehlen Ihnen dann auch die Erholungsphasen. Und die sind wichtig, damit Sie sich in Ihrer Arbeitszeit wieder frisch gestärkt und voller Elan Ihren Aufgaben widmen können.

Die Sache mit der vernünftigen, gesunden Lebensweise und dem Stress

Aber Yoga ist doch absolut notwendig zur Entspannung – Ihrer Gesundheit zuliebe. Und kulturell dürfen Sie auch nicht völlig verwahrlosen, das wäre ziemlich uncool, wo doch all Ihre Freunde immer so tolle Sachen machen – und die dann auch noch in den sozialen Medien so breit treten, dass man nun wirklich nicht daran vorbeisehen kann. Außerdem müssen Sie endlich mal wieder was richtig Aufregendes kochen – Ihre letzte Buddha Bowl kam nicht so gut rüber auf den Bildern. Das ist wirklich schön, dass Sie sich so sehr um Ihren Körper, Ihre Außendarstellung und Ihre musikalische Bildung sorgen.

Aber wann bleibt Ihnen zwischen all den Aktivitäten Zeit für sich selbst, um Ihre Seele baumeln zu lassen, wie die Glieder, die Sie jeden Freitagabend von sich strecken, weil Sie zu erschöpft sind, auch nur einen Finger krumm zu machen? Oft wollen wir alles perfekt machen, uns auf keinen Fall hängen lassen, immer up to date sein. Ein besonders aktives und gesundes Leben führen.

Wann sind Sie sich zum letzten Mal selbst begegnet?

Aber selbst wenn wir uns ganz viele gute Dinge tun, ist es manchmal einfach zu viel des Guten. Denn das kennen wir bereits bestens von vermeintlich guten Ratschlägen von Familie und Freundeskreis. Gut gemeint ist dabei leider oft das Gegenteil von tatsächlich gut für uns selbst. Der Alltag gleicht dann dem vielzitierten Hamsterrad, aus dem man nur dann aussteigen kann, wenn man vorher das Tempo schon mal ordentlich drosselt. Dreht man sich immer schneller darin, wird man unweigerlich irgendwann hinausgeschleudert. Burnout nennt man so was dann.

Wissen Sie überhaupt, wie man das macht – das Nichtstun? Ganz ehrlich, leicht wird das nicht, wenn Sie jahrelang vorher immerzu irgendwas gemacht haben. Ich spreche da aus Erfahrung. Es wird sich erstmal komisch, leer und kribbelig anfühlen – von Genuss keine Rede. Wenn Sie öfter mal die Welt draußen lassen, wird aus dem „Ruhe aushalten müssen“ eine Freude auf die stilleren Stunden, so als hätten Sie eine wichtige Verabredung. Und die haben Sie ja schließlich auch: mit sich selbst.

Gemeinsam was verpassen – geteilte Freude ist doppelte Freude

Natürlich können Sie auch mit einer Freundin oder Ihrem Partner ganz prima Jomo praktizieren und einfach mal nur in die Sterne gucken oder einen Nachmittag auf der Couch verbringen. Zwischendurch lesen Sie dann ein gutes Buch, praktizieren den Sonnengruß mal nur für sich und kochen sich was Leckeres, ganz ohne schöne Bilder. Das Konzert am Abend lassen Sie dann einfach sausen. Mails checken Sie am nächsten Tag und Ihre Social Media Aktivitäten frieren Sie für 24 Stunden ein. Und wenn Sie vor lauter Jomo doch etwas verpasst haben sollten, dann haben Sie wenigstens sich selbst getroffen. Und das ist im besten Fall viel aufregender, als das, was so draußen passiert.

Bildquelle Beitragsbild: © AllUneed /shutterstock.com

Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.