Gute Bücher kommen nie aus der Mode. Das gilt auch für Kinderbücher. Umso mehr, weil sie sich hervorragend eignen, um Werte und Grundregeln des Zusammenlebens an die nächste Generation weiterzugeben. An der Euro Akademie Tauberbischofsheim haben sich die angehenden Erzieher*innen mit Klassikern der Kinderbuchliteratur auseinandergesetzt, mit denen sie selbst groß geworden sind und die sie heute immer noch schätzen. Wieso das so ist, könnt ihr in unserer kleinen Serie „Kinderbuchklassiker in der Kritik“ nachlesen. Heute – in Teil 3 – nimmt Hannah Dietz „Ronja Räubertochter“ der schwedischen Autorin Astrid Lindgren unter die Lupe.
Im Abschlussjahr der pädagogischen Vollzeitausbildung (OK) und der praxisintegrierten Ausbildung (PIA) wurde eine der Deutsch-Klausuren durch eine Buchbesprechung (Vortrag mit Präsentation) und einen ausgearbeiteten schriftlichen Kommentar zum Text ersetzt. Dabei sollten die Auszubildenden einen Klassiker der Kinderliteratur auswählen, dessen Inhalt referieren und den pädagogischen Gehalt des Textes aus ihrer Sicht als erzieherische Fachkraft bewerten. Im Folgenden findet ihr einen Text von Hannah Dietz (OK).
Eigensinnig und autonom: Ronja Räubertochter
Ich habe das Buch „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren ausgewählt, da ich die Geschichte bereits als Kind sehr gerne mochte. Auch die Verfilmung aus dem Jahr 1984 habe ich oft gesehen und finde sie sehr schön. Ich wollte gerne ein Buch präsentieren, das ich selbst aus meiner Kindheit kenne und mag, um es authentisch und kongruent vor der Klasse präsentieren zu können.

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Was mir an dem Buch gefällt
Sowohl als Kind, als auch jetzt gefällt mir sehr, wie eigensinnig Ronja ist. Ich finde großartig, dass sie so autonom handeln darf, da ich die Entwicklung und Förderung der kindlichen Autonomie als sehr wichtig empfinde. Auch der Hauch von Märchen durch die zahlreichen Fabelwesen hat einen ansprechenden Charakter, da die vorkommenden Fabelwesen eben nicht – wie in den meisten Märchen und Sagen – Einhörner oder Drachen sind, sondern individuell entwickelte Wesen, die es so in keiner anderen mir bekannten Geschichte gibt.
Meine pädagogische Sicht auf das Buch
Ich würde das Buch frühestens für Kinder ab ungefähr sechs bis sieben Jahren empfehlen. Außerdem sollte eine erwachsene Person die Kinder in der Verarbeitung des Buches begleiten, damit sie nicht mit Ängsten zurückbleiben. Insbesondere die Wilddruden mit ihren Rufen „Blut soll fließen!“ und den Rufen, sie werden die Menschlein aufschlitzen und aufkratzen, können für Kinder sehr beängstigend wirken. Auch wenn die Räuber in diesem Buch „die Guten“ sind, sollten die Kinder darüber aufgeklärt werden, dass Stehlen nicht in Ordnung ist – aber auch, dass es bei uns keine Räuber gibt, die im Wald lauern und Passanten ausrauben. Potenziale bietet das Buch im Hinblick auf die Entwicklung der Selbst- und Eigenständigkeit und dem Weg zu einer eigenen Persönlichkeit. Ronja lebt dies gut vor; sie beginnt, die ihr vorgelebten Normen zu hinterfragen und eigene Entscheidungen zu treffen. Das Überwinden ihrer Ängste bietet Kindern die Möglichkeit, sich mit ihr zu identifizieren. Sie können angeregt werden, sich ihren Ängsten mutig zu stellen und lernen auch, dass es nichts Negatives ist, welche zu haben. Auch ihre Verbundenheit mit der Natur ist ein positiver Aspekt. Wenn man in diesem Zusammenhang auf die heutige Entwicklung von Kindern blickt, verbringen sie zu viel Zeit im Inneren und gehen seltener nach draußen, als es früher der Fall war. Das Buch könnte in Kindern eben diesen Drang wecken, die Welt draußen eigenständig erkunden zu wollen.
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Text: Hannah Dietz, OK
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