Schiller, Goethe, Lessing, Fontane, Thomas und Heinrich Mann und viele mehr suchen Lernende im Unterricht heim. Für Kulturliebhaber sind die Lektüren vielleicht ein Genuss, für viele Schüler allerdings eher eine Qual. Mit außergewöhnlichen Kurzfilmen und Playmobil-Figuren erleichtert Michael Sommer den Zugang zu diesen Werken. „Statt mich auf Aulis der Göttin zu opfern, hat die mich hierher gebeamt. Und ich bin schon deshalb B-Ware zum Heiraten, weil meine ganze Sippe verflucht ist.“ Moment. Was war das? Hat sie das gerade tatsächlich gesagt? Da stehen sich die Priesterin Iphigenie und Thoas, König der Taurier, auf der Halbinsel Tauris am Heiligen Hain der Diana gegenüber und so ein Satz? Jeder, der einmal in ein Werk von Goethe hineingeschnuppert hat, weiß, dass seine Dialoge normalerweise anders aussehen. Nicht aber, wenn Michael Sommer sich derer annimmt. Da lässt sich selbst Faust dazu hinreißen, statt einem ausgiebigen Monolog zu sagen: „Mir ist so langweilig. Ich hab’ irgendwie 17 Fächer studiert und hab’ trotzdem keine Ahnung von nix.“ Plötzlich versteht der Zuschauer auf Anhieb, was gemeint ist, muss schmunzeln und hat Spaß an Weltliteratur.
Schwere Kost ganz leicht
Was Sommer tut, haben sich sicherlich einige Schüler schon lange gewünscht: Mit einer Handvoll Playmobil, ausgedruckten Bildern als Kulisse sowie Nebendarstellern in Form von Schlümpfen und Asterix-Figuren stellt er große Werke in rund zehn Minuten nach. Statt kunstvollen Stilmitteln, einzigartigen Satzstellungen und ausführlichen Beschreibungen erklärt er das Geschehen in moderner Sprache mit viel Witz und noch mehr Ironie. Die Herausforderung liegt für ihn darin, einen dicken Wälzer auf YouTube-Länge herunterzubrechen. Auf diese Weise erreicht der langjährige Dramaturg die breite Masse – selbst junges Publikum. Das versucht die Schule bereits seit Jahren mit mäßigem Erfolg. [caption id="attachment_3981" align="alignleft" width="300"]
Die Buddenbrooks – Thomas Mann[/caption]
Dass ein Theatermacher der Schöpfer der Videos ist, macht sich jeweils zu Beginn der Clips bemerkbar. Fanfare, Jubel und Applaus leiten die Geschichte ein. Wenn nötig werden zuerst die wichtigsten Figuren vorgestellt. Bei Becketts „Warten auf Godot“ kein Problem, bei den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann muss Sommer schon tiefer in die Trickkiste greifen. Dennoch gelingt beides und die Geschichte ist in sieben beziehungsweise neuneinhalb Minuten erzählt.
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Hamlet – Shakespeare[/caption]
Zusätzlich zur Handlung umreißt der Dramaturg die wichtigsten Themen und bringt vereinzelt Zitate, die einen Eindruck von der ursprünglichen Sprache liefern. So kommt Hamlet beispielsweise auch in der modernen Playmobil-Version nicht um den Satz „Wär’ die Nach erst da“ herum. Beim Nibelungenlied wiederum werden die berühmten Anfangsverse wiedergegeben.
Einmal zum Mitnehmen bitte
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Michael Sommer[/caption]
Das Konzept nennt sich „Sommers Weltliteratur to go“. Und genau das ist sie. Michael Sommer erklärt seine Idee in einem Begrüßungsvideo: „Theater ist schön. Literatur ist schön. Aber für den Hausgebrauch viel zu lang. Ja, wenn man im 19. Jahrhundert in Schweden lebt oder sonstwo abgeschnitten von der Zivilisation, dann hat man vielleicht Zeit, einen 800 Seiten starken Roman zu lesen, in dem noch nicht mal eine Fantasy-Figur vorkommt. Aber sonst?“
Die Zeit ist der springende Punkt. Ob man nun als Schüler oder Student verpflichtet ist, beispielsweise Storms „Der Schimmelreiter“ zu lesen oder einfach nur persönliches Interesse daran hat, sein literarisches Wissen aufzupolieren, die Wenigsten haben heutzutage so viel Freizeit, das allein zu bewältigen. Erschwerend kommt hinzu, dass keiner der großen Meister bekannt dafür ist, dass man seinen Erguss mal schnell abends im Bett lesen kann. Das Spiel mit der Sprache, die je nach Autor vielleicht vor 100 bis 300 Jahren so verwendet wurde, ist für den Leser oft schwer verständlich. Dadurch lassen sich Handlungsstränge nicht nachvollziehen, das Durcharbeiten wird zur Qual und durch fehlende logische Verknüpfungen vergisst man schnell, worum es geht. Damit ist niemandem geholfen.
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Die Blechtrommel – Grass[/caption]
Die Klassiker müssen eben auch mit der Zeit gehen – in einer Form, die dem heutigen Lebensrhythmus angemessen ist. Die Variante „to go“ passt daher perfekt: Wie den Kaffee im Pappbecher nimmt der Literaturinteressierte das Stück „Der Geizige“ von Molière einfach zwischendurch zu sich. Wer gerne einen Doppelten nimmt, wird sich über „Die Blechtrommel“ von Günter Grass mit 15 Minuten oder über James Joyces auf 19 Minuten komprimiertes Großwerk „Ulysses“ freuen.
Aber statt das Koffein abzubauen und den Becher zu entsorgen, soll nach dem Genuss, wie der Titel schon sagt, etwas mitgenommen werden. „Wir brauchen eine knackige Kurzversion, die alles Wichtige enthält und sich mit bunten Bildern in unsere Großhirnrinde einbrennt“, meint Sommer. Und nicht nur die Farben, sondern auch zahlreiche komische Elemente erleichtern das Merken der Geschichte.
