Toleranz ist keine Einbahnstraße

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Wir leben in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst. Kommunikation ist über Länder und Grenzen hinweg zu jeder Zeit möglich. Menschen bleiben nicht mehr zwangsläufig in ihrem Geburtsland – viele sind zu Cosmopoliten geworden oder mussten aus Kriegs- und Krisengebieten flüchten. Damit unterschiedliche Menschen und Kulturen zusammenleben können, brauchen wir eine ordentliche Portion Toleranz. Doch was bedeutet das eigentlich? 

Der internationale Tag der Toleranz am 16. November wurde 1995 von der UN-Generalversammlung ins Leben gerufen. 185 Mitgliedsstaaten der UNESCO unterschrieben die Regeln, die ein menschenwürdiges Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Religionen möglich machen sollen.

Das Wort „tolerare“ kommt aus dem Lateinischen und heißt wörtlich übersetzt „ertragen“, „erdulden“. Die Toleranz im Zusammenleben mit anderen Menschen muss allerdings darüber hinauswachsen. Denn was ich nur erdulde, das respektiere ich noch lange nicht. „Toleranz soll eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen“, sagte schon Johann Wolfgang von Goethe.

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit

Tolerant gegenüber anderen zu sein, heißt übrigens nicht, dass ich meine eigenen Werte und Überzeugungen unter den Tisch fallen lasse. Nach seinen eigenen Vorstellungen zu leben und diese nach außen zu vertreten, ist notwendig, wenn wir uns nicht selbst verleugnen wollen. Die Freiheit des einen hört nämlich dort auf, wo die Freiheit des anderen beginnt.

Der Rahmen für Toleranz in unserer Gesellschaft ist auch im Grundgesetz verankert – dazu gehören das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2), die Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 4) und das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5). Für Menschen, die einer Minderheit angehören – beispielsweise Migranten, Menschen mit Behinderung und Homosexuelle – sind der Gleichheitsgrundsatz und das Verbot von Diskriminierung wichtige Gesetzespunkte.

Die Freiheitsrechte der Bürger entstanden bereits in der Zeit der Französischen Revolution im 18. Jahrhundert. Viele Religionskriege, unter anderem der Dreißigjährige Krieg, hatten dazu geführt, dass sich Dichter und Philosophen Gedanken über ein friedliches Miteinander machten – das Thema Toleranz stand also schon damals hoch im Kurs.

Hochaktuell: Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen

In den letzten Jahren haben wir uns fast täglich mit der Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen auseinandergesetzt. Kriege und Krisen in Syrien, Afghanistan und Eritrea zwangen viele Menschen zur Flucht. Wer den gefährlichen Weg nach Deutschland geschafft hat, wird mit einer Menge neuer Eindrücke und einem anderen Wertesystem konfrontiert.

Auf der einen Seite gilt es, Religion und Lebensweisen der Immigranten zu respektieren, auf der anderen Seite haben wir unser eigenes Wertesystem, das wir nicht über Bord werfen können und dürfen. Hier kommt der viel beschworene Begriff „Integration“ zum Tragen. Menschen aus anderen Kulturen, mit einer anderen Religion haben selbstverständlich andere Vorstellungen vom Alltag und vom Zusammenleben als wir. Durch Integrationskurse für Flüchtlinge wird die Schlüsselqualifikation Sprache vermittelt. So kann auch der Einstieg ins Berufsleben und die Integration in die Gesellschaft gelingen. Aber auch wir sollten uns für die Kultur und die Werte der Flüchtlinge interessieren, dann können wir Gewohnheiten und Verhaltensweisen verstehen, anstatt sie zu verurteilen. Die Grundwerte müssen auf beiden Seiten in jedem Fall gewahrt bleiben – Gewaltfreiheit ist dafür oberstes Gebot. Toleranz ist also keine Einbahnstraße, sondern ein gegenseitiges Annehmen und Schätzen des anderen.

Ein Mittel gegen Intoleranz? Bildung.

Der wohl häufigste Grund für Intoleranz ist Angst – vor dem Unbekannten und Unberechenbaren. Wenn es uns gut geht, möchten wir unser Umfeld und Leben so behalten, wie es ist – Veränderungen sind unerwünscht. Sich auf etwas Neues und Fremdes einzustellen erfordert Mut, Offenheit, Energie – und Bildung.

Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hat sich 2016 in der Zeitschrift „Politik und Unterricht“ intensiv mit dem Thema Toleranz auseinandergesetzt. Toleranz lässt sich am besten begreifen, wenn wir uns aus der bloßen Theorie herausbewegen. Hier gibt es zahlreiche praktische Übungen und Arbeitsmaterialien zum Thema.

„Politik und Unterricht“ hat die Prinzipien für Toleranz so formuliert:

  • Gewaltverzicht
  • Differenzen erkennen, aber bewusst aushalten
  • Fairness im Umgang miteinander
  • die eigenen Überzeugungen nicht für die einzig richtigen halten
  • anderen die gleichen Rechte zubilligen, die man für sich selbst in Anspruch nimmt
  • Differenzen und Konflikte konstruktiv austragen

Toleranz kann man also lernen – nicht wie Mathe oder Chemie, sondern durch Vorbilder und aktive Auseinandersetzung. Wer selbst Respekt und Wertschätzung erfahren hat, kann auch anderen Menschen Achtung entgegenbringen. Wir alle wünschen uns, so akzeptiert zu werden, wie wir sind. Die Grenze ist dabei immer die Freiheit des anderen.

Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.