Wer entscheidet über Leben und Tod?

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Sterbehilfe: Ab wann ist das Sterben auf Verlangen erlaubt? Der deutsche Bundestag debattiert über vier Gesetzesentwürfe.

Ein Thema, das gern in Schweigen gehüllt wird, beschäftigt derzeit nicht nur den Bundestag, sondern auch die Medien und die Gesellschaft: der Tod auf Verlangen. Was ist, wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, allein über sich und Ihren Körper zu bestimmen? Was, wenn Sie eine schwere Krankheit davon abhält, das Leben zu genießen und Sie in Schmerzen und Leid hüllt. Würden Sie sich für oder gegen die Sterbehilfe aussprechen?

Dieser schwerwiegenden Entscheidung nimmt sich derzeit der Bundestag an und debattiert über eine neue Gesetzesregelung zum Thema Sterbehilfe. Vier Gesetzesentwürfe liegen bereits vor. Die Vorschläge reichen von dem völligen Verbot bis hin zum liberalen Umgang mit dem Tod auf Verlangen.

Was bedeutet eigentlich Sterbehilfe und ab wann ist sie strafbar?

Die Sterbehilfe wird in Deutschland immer wieder häufig diskutiert. Doch um sich eine objektive Meinung zu diesem anspruchsvollen Thema bilden zu können, hilft es, die vier grundsätzlich unterschiedenen Formen der Sterbehilfe zu kennen.

  1. Passive Sterbehilfe: Unter der passiven Sterbehilfe ist das Sterbenlassen auf Wunsch des Patienten zu verstehen. Sie basiert in der Regel auf einer Patientenverfügung und meint den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, wie beispielsweise eine künstliche Ernährung, Beatmung oder die Gabe lebensnotwendiger Medikamente. Die passive Sterbehilfe ist in Deutschland nicht strafbar.
  2. Aktive indirekte Sterbehilfe: Die aktive indirekte Sterbehilfe sieht die Vergabe von starken schmerzlindernden Medikamenten vor, die die Lebenserwartung der Patienten verkürzt. In Krankenhäusern ist dies die Vergabe von Opiaten, die die Schmerzen sowie die Angst lindern, jedoch auch die Atmung einschränken. Diese Art der Sterbehilfe ist in Deutschland nicht strafbar. Hingegen ein Nichtverabreichen von Beruhigungsmitteln mit der Begründung, nicht den vorzeitigen Tod des Patienten herbeiführen zu wollen, kann nach dem höchsten deutschen Strafgericht sogar als Körperverletzung oder unterlassene Hilfeleistung strafrechtlich verfolgt werden.
  3. Beihilfe zum Suizid: Ein Selbstmord sowie die Beihilfe dazu ist derzeit in Deutschland nicht strafbar. So kann das Verschreiben oder Organisieren von Medikamenten, die den Tod hervorrufen, juristisch nicht geahndet werden, wohl aber eine unterlassene Hilfeleistung.
  4. Aktive direkte Sterbehilfe: Die aktive direkte Sterbehilfe umfasst die Tötung auf Verlangen, etwa durch die Überdosis eines Narkosemittels. Der eigentliche Tathergang erfolgt nicht – wie bei der Beihilfe zum Suizid – durch den Patienten, sondern liegt bei einer anderen Person, wie dem Arzt oder Angehörigen. Diese Art der Sterbehilfe ist in Deutschland und vielen anderen Ländern weltweit strafbar. Lediglich die Niederlande, Belgien, Luxemburg und der US-Bundesstaat Oregon bilden hier eine Ausnahme.

Wer darf über Leben und Tod entscheiden? Argumente für und gegen die Sterbehilfe.

In der Frage, ob die Beihilfe zum Suizid möglich sein sollte oder nicht, gehen die Meinungen weit auseinander. Ein Suizidversuch ist nicht strafbar. Die Beihilfe dazu soll es zukünftig sein. Das Argument der Gegner ist eindeutig: Niemand darf über Leben oder Tod eines Menschen entscheiden. Diese sei allein dem Schicksal vorbehalten. Die Befürworter der Sterbehilfe argumentieren jedoch, jeder Mensch dürfe für sich selbst entscheiden. Jeder Mensch habe ein Recht darauf, in Würde zu sterben, ohne Schmerzen. Insbesondere dann, wenn seine Situation ausweglos und von Qualen und menschenunwürdigem Leben geprägt ist. Doch was ist menschenunwürdiges Leben? Nicht mehr für sich selbst sorgen zu können? Nicht mehr selbst die Körperpflege übernehmen zu können? Gegner der Sterbehilfe sind der festen Überzeugung, dass der Suizidgedanke auf problematische Werte in der Gesellschaft zurückzuführen sei: Die Beurteilung der Menschen nach ihrer Leistung. Der richtige Weg sei das Wandeln eben dieser Werte, nicht die Legalisierung des assistierten Suizids.

Wer also liegt richtig? Während die eine Seite davon überzeugt ist, dass auch derjenige, der nicht mehr in der Lage ist, sich das Leben zu nehmen, hierüber selbst entscheiden dürfen sollte, ist die andere Seite der festen Meinung, niemand dürfe Gott spielen und hierüber bestimmen. Gegen einen qualvollen Tod gäbe es andere Wege.

In einem Punkt sind sich jedoch beide Seiten einig: Die Palliativmedizin sowie die Hospizversorgung in Deutschland muss verbessert werden. Jeder hat Angst vor einem schmerzhaften Tod. Insbesondere dann, wenn eine schwere unheilbare Krankheit diesen bereits ankündigt. Mit einer ausgebauten und gut strukturierten Palliativmedizin muss niemand mehr Schmerzen, Übelkeit oder Angst empfinden. In einer verbesserten Hospizversorgung ist ein menschenwürdiges Ende mit einer relativ hohen Lebensqualität möglich. Ob diese Maßnahmen ergänzend oder als Ersatz der Sterbehilfe dienen sollen, darüber scheiden sich die Geister.

Vier Gesetzesentwürfe, vier Meinungen

Die Gesetzesentwürfe, die derzeitig vom Bund debattiert werden, konzentrieren sich ausschließlich auf die Grauzone der Sterbehilfe: der Beihilfe zur Selbsttötung. Auch dabei gehen die Meinungen weit auseinander.

Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) plädiert in ihrem „Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ dafür, die seit 1871 geltende Straffreiheit von Beihilfe zum Suizid positivrechtlich festzuschreiben. Darin inbegriffen seien sowohl Ärzte als auch Organisationen und Vereine. „Wir möchten Rechtssicherheit für Ärzte schaffen, die sich heute in der Grauzone befinden,“ so Künast.

Einen ähnlichen Entwurf legt Bundestagsvizepräsiden Peter Hinze (CDU/CSU) vor, setzt hierbei jedoch „eine irreversible, tödliche Krankheit voraus, deren voraussehbares Leiden ein Patient durch Suizid abwenden möchte“, heißt es darin. („Gesetzesentwurf zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung“).

Der mit über 200 Abgeordneten am stärksten unterstützte „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ von Michael Brand (CDU/CSU) sieht vor, die geschäftsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung durch Ärzte, Einzelpersonen oder Organisationen unter Strafe zu stellen, unabhängig davon ob diese Beihilfe mit kommerzieller oder nichtkommerzieller Absicht erfolgt. Die Hilfe zur Selbsttötung sei damit nur in Einzelfällen durch Angehörige oder nahestehenden Personen erlaubt. Er schließe damit lediglich die geschäftsmäßige Sterbehilfe aus. „Nicht mehr und nicht weniger,“ so Brand.

Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) hat den „Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung“ verfasst, der jegliche Beihilfe zum Suizid untersagt – ganz gleich ob dieser geschäftsmäßiger oder privater Natur ist. Die passive Sterbehilfe hingegen bleibt auch in diesem Entwurf unberührt.

So unterschiedlich die Entwürfe in ihren Details sind und so vielseitig die Meinungen der Befürworter und Gegner ausfallen, lässt eine Einigung noch etwas auf sich warten. Am 23. September 2015 findet voraussichtlich die nächste öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz statt. Bis dahin wird sich weiterhin beraten.

Die zwei Seiten der Medaille

Die Sterbehilfe ist ein sehr gewichtiges Thema das immer wieder Wellen im Bundestag, aber auch in der Gesellschaft schlagen wird. Dürfen Menschen wirklich Gott spielen? Ist der vorzeitige Tod wirklich der einzige Ausweg? Und was ist mit dem Ziel, Sterbende so zu begleiten, dass gar kein vorzeitiger Todeswunsch aufkommt? Doch wer sind wir, einer sterbenskranken Person den letzten Wunsch, in Würde zu sterben, zu verwehren? Ist es nicht anmaßend, dieser Person dem Leid uneingeschränkt auszusetzen? Für das deutsche Strafrecht wird bald eine Lösung gefunden werden. In ethischer Hinsicht wird es wohl immer zwei Seiten ein und derselben Medaille geben.

Quelle: Deutscher Bundestag

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