Die Sprache als Schlüssel zur Welt steht auf dem Spiel

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Ist das nun das Ende der Sprach-Kitas? Seit 2016 fördert das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die sprachliche Bildung als Teil der Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung. Gerade jetzt soll diese Förderung ein abruptes Ende erfahren.

Anfang der Woche behandelte der Petitionsausschuss des Bundestages die Initiative „Sprachkitas retten!“ – eine der erfolgreichsten Petitionen Deutschlands, mit knapp 280.000 Unterschriften sogar die erfolgreichste Petition im Sozialbereich. Gestartet hatte sie Wenke Stadach. Die Kita-Leiterin aus Mecklenburg-Vorpommern möchte damit eine Streichung der Bundesmittel für die sogenannten „Sprach-Kitas“ verhindern. Denn das würde nicht nur die Beschäftigung unzähliger Fachkräfte in Frage stellen, sondern auch mehr als 500.000 Kindern die gezielte Sprachförderung verwehren.

Denkbar schlechtester Zeitpunkt

Die Fortführung der Maßnahme ist jedoch, insbesondere vor dem Hintergrund der erneuten Welle von Kriegsflüchtlingen sowie der generellen Migrationsbewegungen, dringend notwendig. Aber auch Kinder mit deutscher Muttersprache haben bisher von dem Sprachförderprogramm profitiert. Die Sprachfachkraft Bianca Hofmann aus der Nähe von München berichtet in der Süddeutschen Zeitung, „dass jedes vierte Kind einen sprachlichen Förderbedarf hat – ganz egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Diese Zahl wird sich aufgrund der Pandemie-Kollateralschäden in den kommenden Jahren noch erhöhen.“

Protest auf allen Kanälen

Der Staat hatte bisher versucht, dieser negativen Entwicklung mit seinem Programm Rechnung zu tragen. Bundesweit ist mittlerweile jede achte Kita eine Sprach-Kita. Mit der Berliner Ampelkoalition steht die gesonderte Förderung plötzlich auf dem Prüfstand. Ende 2022 soll sie auslaufen. Die Bildungsminister*innen der Länder schlagen Alarm. Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland haben die Bundesregierung explizit per Beschluss aufgefordert, das Bundesprogramm nicht zu beenden, sondern im Gegenteil zu verstetigen. Der bundesweite Aktionstag am vergangenen Mittwoch, dem 19. Oktober 2022, der in allen großen deutschen Städten wie Berlin, Stuttgart, Hamburg und München stattfand, hat den Protest zusätzlich auf die Straße und in alle großen Medien gebracht.

Vier (tragende) Säulen

Das Bundesprogramm steht auf vier Säulen:

  • Alltagsintegrierte sprachliche Bildung

Der Spracherwerb ist nicht verschult, sondern die Kinder erlernen die deutsche Sprache in anregungsreichen Situationen aus ihrer Lebens- und Erfahrungswelt. Das Lernen wird in den Kita-Alltag integriert und geschieht (aus Sicht der Kinder) „nebenbei“. Dieses Vorgehen entspricht dem aktuellen Stand der Wissenschaft in der Pädagogik.

  • Inklusive Pädagogik

Eine inklusive Pädagogik möchte sowohl Kinder als auch ihre Eltern dazu ermutigen, Vorurteile, Diskriminierung und Benachteiligung kritisch zu hinterfragen und eventuell über Bord zu werfen. Außerdem sollen die Kinder lernen, ihre eigenen Gedanken und Gefühle auszudrücken. Dazu gehört, dass die pädagogischen Fachkräfte und auch alle anderen an der Erziehung beteiligten Menschen die Gemeinsamkeiten und Stärken der Kinder in den Mittelpunkt stellen und gleichzeitig die Vielfalt thematisieren und entsprechend wertschätzen.

  • Zusammenarbeit mit den Familien

Um Kinder ganzheitlich in ihrer Sprachentwicklung zu begleiten, ist es wichtig, dass die pädagogischen Fachkräfte mit den Familien der Kinder eine sowohl vertrauensvolle als auch gegenseitig wertschätzende Erziehungspartnerschaft eingehen. Da der Spracherwerb in erster Linie zu Hause, also durch Eltern und Familienangehörige, passiert, beraten die Sprachexpert*innen in den Kitas die Eltern, damit diese auch zu Hause ein sprachanregendes Umfeld für ihre Kinder schaffen können.

  • Digitale Medien

Die vierte Säule ist erst im vergangenen Jahr hinzugefügt worden. Seit 2021 liegt ein zusätzlicher Fokus auf digitalen Medien. Digitale Medien wie Smartphones oder Tabletcomputer sind heute aus dem Alltag vieler Familien nicht mehr wegzudenken. Somit muss man sie als Bestandteil des Sprachumfelds von Kindern jeden Alters sehen und annehmen. Hier setzt das Programm bei der sprachlichen Bildung an: Es stärkt medienpädagogische Ansätze und fördert digitale Bildungs- und Austauschformate für die Fachkräftequalifizierung.

Der Zusammensturz?

Wenn diese tragenden Säulen nun auf einmal wegbrechen, was passiert mit dem fragilen Gebäude, das unsere multikulturelle Gesellschaft darstellt? Wird es einstürzen? Die Antwort ist so schlicht wie schlecht: Wir wissen es nicht. Niemand kann mit Gewissheit sagen, was passieren wird. Die Wissenschaft weiß nur: Sprache fungiert als Schlüssel. Studien haben gezeigt, dass sprachliche Kompetenzen einen erheblichen Einfluss auf den weiteren Bildungsweg und den Einstieg ins Erwerbsleben haben. Diese Tatsache sollte uns und auch der Politik zu denken geben.

Bildquelle Beitragsbild: © BRO.vector/shutterstock.com

Autor

Nadine Elbert

Seit August 2019 schreibt Nadine Elbert hier im Wechsel über Themen aus den Bereichen Ausbildung, Studium und Beruf – und schöpft dabei auch aus ihrem reichhaltigen persönlichen Erfahrungsschatz.