Filmprojekt statt Theaterbühne: Kreative Aufgaben für Erzieher*innen der Euro Akademie Berlin

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Die Klasse EZ 19/2 in der Ausbildung zum*r Erzieher*in an der Euro Akademie Berlin drehte fünf Filme, die ersatzweise für ein coronabedingt ausgefallenes Theaterstück entstanden. Das Theaterprojekt ist sonst ein fester Bestandteil des 3. Semesters der Vollzeitausbildung für Erzieher*innen. Der Dynamik der Pandemie entsprechend, stand bei diesem Alternativprogramm der verstärkte Umgang mit digitalen Medien im Vordergrund. Plötzlich waren ganz neue Fähigkeiten gefragt. Die Studierenden durften während des Filmprojektes viele neue Dinge lernen. Ein Gewinn für die Ausbildung und eine Vorlage für zukünftige Projekte dieser Art.

Ein Filmprojekt kann kein Theaterstück ersetzen, das ist klar. Die Studierenden und der Dozent in der Erzieherausbildung der Euro Akademie Berlin haben das Beste daraus gemacht. Das Filmprojekt dieses Semesters war ein großer Erfolg, weil es unter anderem gezeigt hat, dass – wie beim Theaterspielen auch – Wissensaufbau über einen kreativen Weg beschritten werden kann. Das Tolle an einem Filmprojekt ist, dass die Arbeitsgruppe am Ende des Schaffensprozesses ihr Kunstwerk in den Händen halten, selbst bestaunen und von anderen würdigen lassen kann.

Im Folgenden berichtet Dozent Oscar Axelrod-Naumann von den neuen Erfahrungen mit dem Medium Film.

Runter von der Bühne, raus ins Ungewisse

Was wir unter der „realistischen Ausgestaltung“ von Filmszenen verstehen, hängt sehr von unseren Sehgewohnheiten ab. Das hatte im Falle meiner Klasse zur Folge, dass neben dem technischen Aufwand das Aufsuchen oder Gestalten von geeigneten Drehorten viel Zeit in Anspruch nahm. Zeit, die sonst für das Theaterspielen verwendet worden wäre, das eigentlich den Schwerpunkt im Projektmonat bilden sollte, nun aber zu kurz kam. Im Folgenden möchte ich die drei Phasen des Schaffensprozesses genauer beschreiben.

Der Anfang: die Entscheidung für ein Thema

Ganz zu Beginn standen die Schüler*innen vor der schwierigen Entscheidung, welches Themas sie sich annehmen wollen. Gleichzeitig galt es, Ideen für eine originelle Geschichte zu sammeln und weiterzuentwickeln. Unsere angehenden Erzieher*innen wählten mehrheitlich die klassische Erzählweise des Dramas, die meistens auch im Film verwendet wird. Als Alternativen dazu wären eine epische Erzählweise, eine postdramatische Darstellung oder eine Performance möglich gewesen. Frühere Unterrichtsgruppen hatten sich bei ihren Theaterprojekten ebenfalls in aller Regel für den klassischen Ansatz entschieden.

Das bedeutet im Klartext: Je krasser die Krise und je höher die Fallhöhe einer Figur oder einer Gesellschaft ist, umso spannender gestaltet sich die Geschichte. Sich diese Tatsache im Rahmen des kreativen Arbeitens zunutze zu machen, war in Anbetracht der aktuellen Covid-19-Pandemie vergleichsweise einfach. Dieser Trick des dramatischen Gestaltens galt übrigens schon für das antike Drama sowie für fast alle Hollywoodfilme und „Tatorte“. Wobei es der überkommenen Kultur um die reinigende Kraft dieses Prozesses ging, der heutigen Gesellschaft dagegen in erster Linie um verkaufte Tickets und Einschaltquoten.

Spannung und Unterhaltung statt Quoten

Zuallerletzt geht es im Projektmonat der angehenden Erzieher*innen um Eintrittskarten oder Quoten. Doch der Spannungs- und Unterhaltungsfaktor ist auch schon früher für jede meiner Klassen bei der Entwicklung ihrer Theaterstücke ein immer wiederkehrendes Kriterium für die Auswahl der Themen und Geschichten sowie für die Bewertung von Szenen gewesen. Deswegen ist ein kleiner Exkurs in die aristotelische Dramatik ein fester Bestandteil des Theaterunterrichts. Diese uns in die Gene eingeschriebene kulturelle Praxis ist anwendbares Wissen und vergleichbar mit so basalen Inhalten wie dem Treffen der richtigen Töne im Musikunterricht, dem Wissen um die Komplementärfarben im Kunstunterricht und den Koordinationsübungen im Bewegungsunterricht.

Die Stoffentwicklungsphase – ein kreativer, demokratischer Prozess

Die Klasse einigt sich auf ein Thema und denkt sich dazu eine Geschichte aus. Jede Idee und jede Meinung wird gehört und diskutiert: Welches Thema interessiert mich? Was interessiert die anderen? Welche thematischen Überschneidungen hat meine Idee mit anderen? Kann ich mich auf die Ideen der anderen einlassen, finde ich diese vielleicht sogar besser oder muss ich mich mit meiner Idee durchsetzen? Kann und will ich 25 andere Ideen und zu jeder dieser Ideen 25 verschiedene Meinungen hören, also 625 Beiträge?

In diesem Prozess müssen die Studierenden ein immenses Konzentrationsvermögen aufbringen, ohne den herkömmlichen Output. Denn am Ende geht es nicht um eine gute Note oder ums Durchfallen, sondern um das gemeinsame Erzählen einer Geschichte. Und dies setzt eine Identifikation mit der Botschaft voraus, die die Geschichte transportieren soll, sowie das Einbringen des eigenen Interesses und das Akzeptieren aller anderen Meinungen, damit die schauspielerische Kreativität abheben kann. Aber was ist damit gemeint? Und wie funktioniert dieser Prozess?

Hoffentlich geht es hierbei nicht ums Suchen, Schreiben und Auswendiglernen von Texten! Nein, ab jetzt ist alles denkbar – nur nichts „Verkopftes“. Was laut Berliner Bildungsprogramm für das Theaterspielen für Kinder funktioniert, gilt auch für ältere Zielgruppen dieser Unterrichtsform. Der selbstbestimmte und spielerische Charakter steht im Vordergrund. Und hierbei ist die Schauspiel-Improvisation das Mittel der Wahl.

Der Schauspiel- und Improvisationsprozess

Nach der Stoffentwicklungsphase kommt der Schauspiel- und Improvisationsprozess sehr leichtfüßig daher und ist doch sehr komplex. Das Schauspiel nimmt innerhalb der ästhetischen Fächer einen besonderen Platz ein. Denn das „Wahrnehmen mit allen Sinnen“ heißt in erster Linie, dass beim Theaterspielen die Spielpartner*innen wahrzunehmen sind. Da die Studierenden dazu ermutigt werden, ihre Szenen immer wieder zu improvisieren, wird der Wahrnehmungsprozess noch einmal intensiviert, da die Spielpartner*innen neue und spontane Ideen einbringen. Dadurch wird bis zur Premiere ein aktiver und reaktiver, gewissermaßen „wacher“ Spielverlauf beibehalten. Das macht das Theaterspielen zu einem einzigartigen sozial-ästhetischen Kreativprozess, in dem die Klasse als täglicher Rezipient und Kritiker der szenischen Ergebnisse fungiert und zum begeisterten oder gelangweilten Publikum wird, diesen kreativen Prozess somit um ein drittes Element erweitert.

Mit Phantasie und Erfahrung in eine andere Welt

Zu diesem interpersonalen Geflecht kommt noch die intrapersonale Vorstellungskraft dazu. Sonst würden Spielpartner*in und Publikum nicht in die Welt entführt werden können, in denen die selbstentwickelten Theaterstücke angesiedelt sind. Die eigene Biografie oder die Phantasie können als Quelle dienen, ganz individuell abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit der Beteiligten. Auch hierbei nimmt das Theaterspiel seinen ganz besondern Platz im Fachbereich Ästhetik ein. Denn es bedeutet, mit allen Sinnen wahrzunehmen und sich auf imaginierte Symbolobjekte zu beziehen, die eigentlich gar nicht da sind. Sie werden aber gerade durch die Erinnerung oder Phantasie der Spielenden für sie und die Betrachter*innen erlebbar gemacht – sonst wäre es nicht Theaterspielen.

Fazit: Film und Theater

Für die Erzieherausbildung, die bemüht ist, einen hohen Kreativanteil zu vermitteln, sollte ein filmisches Projekt nicht fehlen, und zwar als Aufbaukurs nach einem Schauspielprojekt im Bereich Wahlpflicht. Ein solches Projekt kann aufgrund des organisatorischen und technischen Anteils weder die in körperlicher, psychischer und sozialer Hinsicht intensive Spielerfahrung ersetzen noch die Aufregung am Tag der Premiere, an welchem die Gruppenarbeit gefeiert und gewürdigt wird. Doch der Film kann diese subjektive Spielerfahrung in etwas verwandeln, das Bestand hat und für die Spielenden selbst betrachtbar wird – und zwar für immer.

Text: Oscar Axelrod-Naumann (Dozent an der Fachschule Sozialpädagogik)

Sie interessieren sich für eine Ausbildung, in der Sie Ihre Kreativität entfalten und Kinder und Jugendliche in Ihrer Entwicklung fördern dürfen? Die Euro Akademie bietet die Ausbildung zum*r Erzieher*in an 18 Standorten deutschlandweit an.

Bildquelle Beitragsbild: © Romolo Tavani /shutterstock.com

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