Gamer im Seniorenheim

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Videospiele sind etwas für Jugendliche? Von wegen! Dank einem Start-up-Unternehmen aus Hamburg zocken sogar die Bewohner von Seniorenheimen und halten sich dabei geistig und körperlich fit.

Eine 85-Jährige schlägt den Matchball katapultartig über das Spielfeld. Kurz darauf schwingt sich ein 94-Jähriger aufs Motorrad und braust mit gewagten Überholmanövern die Straße entlang. Dabei handelt es sich nicht um extrem jung gebliebene Senioren, sondern um solche, deren Heim mit einer der neuesten Spielekonsolen ausgestattet ist: die MemoreBox.

Die Vorstellung von den zockenden Großeltern wirkt immer noch etwas befremdlich. Oder könnten Sie sich Ihren Opa vor Playstation, Xbox und Co. vorstellen? Mit den handelsüblichen Systemen ist die MemoreBox allerdings nicht zu vergleichen, denn sie ist speziell für Senioren entwickelt. Das merkt man vor allem an der stark vereinfachten Bedienung und Verständlichkeit.

Prävention von Demenz

Als Ziel hatte das IT-Start-up-Unternehmen RetroBrain die Erhaltung und Förderung der körperlichen und geistigen Gesundheit im Blick. Den Anfang machte es mit Gründer Manouchehr Shamsrizi als Anti-Alzheimer-Projekt. Er sah die Stimulation geeigneter Spiele auf das Hirn als Präventionsmaßnahme gegen Demenz. Im Gegensatz zu reiner – häufig abstrakter – Hirnakrobatik muss der Spieler seinen Körper einsetzen, um die individuelle Spielsituation zu lösen.

Zwar fordern die Videospiele von den Senioren nur kleine Bewegungen, aber immerhin ein gewisses Maß an Koordination der Körperteile. Das Verstehen der Vorgänge und des Spielziels wiederum verlangt den kognitiven Fähigkeiten einiges ab. Bleibt beides im Training, soll der Demenz vorgebeugt beziehungsweise das Fortschreiten der Krankheit verzögert werden.
Damit das funktioniert, ist besonders die persönliche Bedeutung der Tätigkeit für den Betroffenen wichtig. So kann er sich mit der gestengesteuerten Konsole beispielsweise in den Motorradfahrer hineinversetzen. Übliche Aufgaben wie das Erkennen von Formen oder das Anordnen von Buchstaben können beim Patienten schnell auf Gleichgültigkeit stoßen. Ein solcher persönlicher Bezug zusammen mit Körpereinsatz sind auch Ansatzpunkte eines Ergotherapeuten oder Physiotherapeuten, der Demenzkranke behandelt.

Spaßiger Gesundmacher

Die Spiele an sich orientieren sich an den Erfahrungen der Senioren und halten sich nah an alltägliche Lebenssituationen aus ihrer Vergangenheit. Neben den bereits genannten Stimuli sprechen die Bilder somit auch das Erinnerungsvermögen an. Zur Auswahl bietet die MemoreBox drei Möglichkeiten: Kegeln, Motorradfahren und Tischtennisspielen. Ganz nach den Vorlieben der Heimbewohner.

Gekegelt werden kann in Gruppen, sodass mehrere Senioren beteiligt sein können. Dabei ist besonders die Armkoordination gefragt. Auf dem Motorrad wiederum muss das Körpergewicht verlagert werden, um Gegenstände einzusammeln oder Hindernissen auszuweichen. Beim Tischtennis trainieren die Spieler speziell ihr Reaktions- und räumliches Vorstellungsvermögen. Die Steuerung funktioniert hierbei über die Bewegungen des Rumpfes.

Ein netter Nebeneffekt der Spiele ist ganz einfach Spaß. Das erhöht nicht nur die Lebensqualität der Senioren, sondern entlastet auch die Angehörigen und das Pflegepersonal. Zusätzlich weisen wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass eine erhöhte Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin, der im Körper für Glücksgefühle zuständig ist, einen positiven Effekt auf Gehirne mit neurologischen Störungen hat.

Technologie im Seniorenheim

Möglicherweise gehört es bald zu den Anforderungen eines Altenpflegers, eine ganze Schar an Gamern zu koordinieren. Die MemoreBox soll nämlich erst der Anfang sein. Eine Zusammenarbeit des Spiele- und Gesundheitssektors ist zwar ungewöhnlich, hat aber viel Potenzial.

Momentan gibt es Konzepte zum Einsatz von Videospielen für unterschiedliche Bereiche, wie zum Beispiel bei starken Schmerzen oder Parkinson. Zusätzlich wird daran gearbeitet, auch bettlägerigen Patienten den Zugang dazu zu ermöglichen.

Die Zukunft liegt aber vor allem in der virtuellen Realität. Mit dem Voranschreiten der Entwicklung hofft RetroBrain auf ein VR-System, das auch für Senioren geeignet ist. Dann könnten diese komplett in das Spiel eintauchen und motiviert werden. 
Wenn es einem Unternehmen gelingt, dass sich die Oma mit Schmerzen wieder gerne bewegt und der depressive Opa wieder öfter lacht, dann ist die Gesellschaft auf dem richtigen Weg.

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Autor

Katharina Boyens

Katharina Boyens ist Germanistin und Anglistin mit einem Faible fürs Schreiben. Von März 2016 bis Januar 2021 bereicherte sie das Euro Akademie Magazin mit lesenswerten Beiträgen in verschiedenen Rubriken.