Kinderrechte ins Grundgesetz – (k)eine gute Idee

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In all den Corona-News der letzten Woche ist ein Thema untergegangen, das unter normalen Umständen hohe Wellen geschlagen hätte. Denn der Konflikt zwischen den Lagern schwillt bereits seit 2018. Damals hatten die Regierungsparteien in den Koalitionsvertrag gesetzt, dass die Kinderrechte ins Grundgesetz, und damit in die deutsche Verfassung, aufgenommen werden. Eigentlich keine schlechte Idee, möchte man meinen – aber es werden auch Stimmen dagegen laut.

Ein großer Flickenteppich

Wer momentan nach den Rechten von Kindern und Jugendlichen in deutschen Gesetzestexten sucht, findet einen Flickenteppich vor – Kinderschutzbeauftragte kennen das Problem: Da gibt es §1631 im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Personensorge, der aussagt, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben. Das Bundeskinderschutzgesetz §1 definiert die Pflicht der staatlichen Gemeinschaft, soweit erforderlich, Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen. Es ist am 1. Januar 2012 Bundeskinderschutzgesetz in Kraft getreten – mit dem Ziel, Lücken im Kinderschutz zu schließen. Und nicht zuletzt gibt es die UN-Kinderrechtskonvention, die seit 1992 auch in Deutschland gilt. Deutschland ist als Vertragsstaat nach Artikel 4 KRK verpflichtet, die Rechte der UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen. Dennoch findet man in der deutschen Verfassung, in der die grundlegenden Regeln unseres Zusammenlebens schriftlich fixiert sind, keinen expliziten Hinweis auf die Rechte der jüngsten Bevölkerungsgruppe.

Ergänzung in Artikel 6 des Grundgesetzes geplant

Das möchten die Regierungsparteien CDU und SPD schon seit Beginn ihrer Legislaturperiode ändern. Von Juni 2018 an hatte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv darüber beraten, wie eine entsprechende Grundgesetzänderung aussehen könnte. Am 12. Januar 2021 hat man sich schließlich auf die konkrete Ausgestaltung geeinigt. Artikel 6 des Grundgesetzes, der das Zusammenspiel von Familien und Staat regelt, soll um folgende Formulierung ergänzt werden: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ Bisher heißt es in Absatz 2 von Artikel 6 lediglich: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Einmischung des Staats in die Familie?

Gerade der letzte Satz der neuen Formulierung ist es, mit denen in erster Linie die Union den Kritiker*innen der Gesetzesänderung den Wind aus den Segeln nehmen will. Denn einige Familienverbände lehnen die Aufnahme der Kinderrechte im Grundgesetz strikt ab. „Demo für alle“, das sich selbst als „Aktionsbündnis für Ehe und Familie“ bezeichnet, warnt in seiner Pressemitteilung: „Das natürliche Elternrecht würde damit de facto ausgehebelt und die Macht des Staates über die Familie deutlich ausgedehnt. ‘Kinderrechte‘ im Grundgesetz bringen Kindern kein einziges neues Recht, dafür aber den staatlichen Behörden neue Zugriffsmöglichkeiten gegen die Familie.“ Auf der Webseite des „Aktionsbündnisses für Ehe und Familie“ legen die Gegner*innen der Gesetzesänderunung ihre Sichtweise dezidiert dar. Sie fürchten insbesondere den Eingriff des Staates in die den Eltern obliegende Kindererziehung und zweifeln die grundsätzliche Notwendigkeit für eine Änderung des Grundgesetzes an. Kinder seien als Bürger*innen bereits durch das Grundgesetz ausreichend berücksichtigt, ohne dass es einer spezieller Nennung dieser Personengruppe bedürfe. Dieses Vorgehen würde andere Personengruppen bloß (sinnloserweise) auf die Idee bringen, auch für sich gesonderte Rechte im Grundgesetz einzufordern.

Nicht mehr länger nur Rechtsobjekte

Die Ansicht, dass es sich bei Kindern und Jugendlichen durchaus um eine besonders schutzbedürftige Personengruppe handelt, hat das andere Lager hingegen dazu bewogen, die explizite Berücksichtigung im Grundgesetz zu fordern. Seit 1994 bereits setzt sich beispielsweise das Aktionsbündnis Kinderrechte (bestehend aus dem Deutschen Kinderhilfswerk, Deutschen Kinderschutzbund und UNICEF Deutschland) für die vollständige Umsetzung der Kinderrechte ein. Das Bündnis kritisiert die aktuelle Situation: „Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland werden die Kinder zwar in Artikel 6 erwähnt. Sie sind jedoch nur ‚Regelungsgegenstand‘ der Norm, also Objekte: ‚Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht‘ (Art.6 GG, Absatz 2). Kinder werden nicht als Rechtssubjekte behandelt, ihre Grundrechte setzen sich in der Rechtsprechung kaum durch oder finden in der Rechtsprechung kaum Niederschlag.“ Kinder sollten demnach als Subjekt agieren können und ihre Rechte bei politischen Entscheidung ausüben und einfordern. Etwa, wenn es um die Verwendung von kommunalen Haushaltsgeldern geht. Vielleicht gibt es dann endlich Spielplätze statt Straßen, genug Kita- und weniger Parkplätze?

Viel Lärm um nichts?

Für eine Grundgesetzänderung wäre eine Zweidrittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Im Moment sieht es ganz danach aus, als würde das Projekt „Kinderrechte ins Grundgesetz“ noch vor der Bundestagswahl am 26. September 2021 vollendet. Denn nach vielem Hin und Her muss sich seit heute das Bundeskabinett mit dem Entwurf befassen, danach auch Bundesrat und Bundestag. In einem Kommentar fasst Frank Pergande, politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin, das System hinter dem ganzen Hickhack in einem Satz zusammen: „Bei Lichte besehen wird hier ein Scheingefecht ausgetragen, das immer wieder mal aufflackert, mit einer generösen Einigung endet und doch nichts an der Lebenswirklichkeit ändert.“

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Bildquelle Beitragsbild: © Zwiebackesser / shutterstock.com

Autor

Nadine Elbert

Seit August 2019 schreibt Nadine Elbert hier im Wechsel über Themen aus den Bereichen Ausbildung, Studium und Beruf – und schöpft dabei auch aus ihrem reichhaltigen persönlichen Erfahrungsschatz.