Direktzugang. Auch ohne ärztliche Verordnung zum Physiotherapeuten?!

0

Wer sich physiotherapeutisch behandeln lassen möchte, braucht eine Heilmittelverordnung vom Arzt. Noch. Physiotherapeuten in Deutschland setzen sich schon lange für einen Direktzugang ein. Dann könnten Patienten zu ihnen in die Praxis kommen, ohne vorher zum Arzt zu müssen. Eine aktuelle Studie zeigt: Das spart Zeit und Kosten.

In vielen Ländern gibt es ihn längst – den Direktzugang zum Physiotherapeuten. Ohne vorherigen Umweg über den Arzt. Bislang arbeiten Physiotherapeuten in Deutschland weisungsgebunden.

Heilmitteleinsatz, Mengenausweitung und Patientenzufriedenheit

Im Mittelpunkt des Projektes, das von der Innungskrankenkasse BIG direkt gesund und dem Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten in Auftrag gegeben wurde, standen Fragen nach dem Heilmitteleinsatz, der Mengenausweitung und der Patientenzufriedenheit. Das Modellprojekt startete im Juni 2011 in 40 Modellpraxen. Die Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften wertete 630 Datensätze von Versicherungsnehmern der BIG direkt gesund aus.

In dem Modellprojekt gab es zwei Gruppen von Patienten. Die Modellgruppe, bei der der Arzt eine Blankoverordnung ausstellte und der Physiotherapeut selbst über Art der Behandlung, Frequenz und Dauer entschied. Und eine Kontrollgruppe, die ihre Heilmittelverordnung unter Angabe der Anzahl der Behandlungen und der Vorgabe der Behandlungsmethode vom Arzt ausgestellt bekam.

Ärzte befürchten höhere Kosten und Gefahr für Patienten

Vielen Ärzten ist der Direktzugang zum Physiotherapeuten ein Dorn im Auge. Sie befürchten höhere Kosten, da die Therapeuten dann die Art, Frequenz und Dauer der Behandlung selbst bestimmen könnten. Außerdem sehen sie Gefahren für die Patientensicherheit aufgrund der fehlenden ärztlichen Diagnose. Die Auswertung des Modellprojektes der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zu diesem Thema belegt jetzt anderes.

Kürzere Behandlungszeit bei Verordnung durch Physiotherapeuten

Laut dem Bericht von ärzteblatt.de „Modellvorhaben sieht positive Ergebnisse bei Direktzugang zum Physiotherapeuten“ war die Behandlungsdauer der Patienten „im Schnitt um zwei Wochen kürzer als in der Kontrollgruppe – und das bei durchschnittlich weniger Behandlungseinheiten. Zudem bewiesen die Physiotherapeuten einen verantwortungs¬vollen Umgang mit ihrer neuen Rolle. Es war keine Kostenausweitung festzustellen.“

Auch wählten die Therapeuten öfter eine Kombination aus aktiven und passiven Behandlungsmöglichkeiten – wie etwa Krankengymnastik plus Wärme- oder Kältetherapie.

Die Zufriedenheit der Patienten war laut Auswertung sehr gut – unabhängig davon, ob der Arzt die Verordnung ausstellte oder diese vom Physiotherapeuten bestimmt wurde.

Und wer stellt die Diagnose?

Ein Knackpunkt in der Diskussion um den Direktzugang zum Physiotherapeuten stellt bis heute die Tatsache dar, dass Physiotherapeuten bislang keine Diagnosen stellen dürfen. Eine fundierte Vorbereitung auf differenzialdiagnostische Befunderhebung in der Ausbildung oder als Zusatzqualifikation wäre also nötig, wenn nicht mehr der Arzt, sondern der Therapeut über die medizinisch notwendige Behandlung entscheiden soll.

Direktzugang oder Blankoverordnung?

Während Ärzteverbände und die Kassenärztliche Bundesvereinigung strikt gegen den Direktzugang zum Physiotherapeuten sind, da sie die Aufgabe der Diagnosestellung bei sich sehen, kämpfen Vertreter der Physiotherapeuten weiter um den direkten Zugang, den es bereits in 40 Ländern gibt. Die von den Ärzten tolerierte Blankoverordnung sehen sie als faulen Kompromiss.

Eines ist klar: Während der Behandlungszeit ist der Physiotherapeut nah am Patienten dran. Er verfolgt, meist mehrmals in der Woche, den Heilungsprozess und kann einschätzen, welche Behandlungsmethoden gerade notwendig sind. Durch eine größere Entscheidungsfreiheit könnten Therapeuten flexibel und individuell auf den Heilungsprozess reagieren. Das spart Kosten und Zeit. Vorausgesetzt, die Differenzialdiagnostik stimmt. Wir dürfen gespannt sein, welche Regelung sich in Zukunft in Deutschland durchsetzen wird.

Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.