Querdenker oder Querulant?

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Die Zeit der Prüfungen ist regelmäßig auch eine Zeit der Anspannungen zwischen Schülern und Lehrenden. Jetzt kommt die Zeit, in der die Lehrenden messen, wie gut die Leistungen eines Schülers sind.

Schlechte Noten für unverstandene Querdenker?

Schüler, die die Prüfungen nicht bestehen, begründen diese Bewertung aus ihrer Sicht häufig so, dass sie Querdenker seien und ihre – originelle, aber nicht falsche Sichtweise – würde nicht gesehen werden. Sie meinen: Nicht sie liegen falsch, sondern die eingeschränkte Sichtweise des Lehrenden ist für das Nichtbestehen verantwortlich.

Stimmt das? Es fällt mir schwer, darauf eine Antwort zu geben. Sind diese Schüler „Querdenker“ und irgendwie auch Vorreiter, so wie wir das von vielen Künstlern kennen, die zu Lebzeiten vollkommen verkannt wurden und später …

Querdenker beim Quereinstieg

Als Lehrerin im Programm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ ist mir dieses Problem sehr vertraut. Wir unterrichten in unseren Klassen lebenserfahrene Schüler, die permanent querdenken. Das ist ein unerschöpflicher Reichtum für die Entwicklung der Erzieherausbildung an der Euro Akademie Berlin, weil sie andere Sichtweisen in den Unterricht und letztendlich auch in die Leistungsnachweise einbringen.

Ich versuche, die Erwartungshorizonte von Klausuren so weit zu stricken, dass dieser Spannweite Rechnung getragen werden kann. Und doch mache ich immer wieder die Erfahrung, dass diejenigen, die das im Unterricht Gelehrte eins zu eins wiedergeben, häufiger auf der sicheren Seite sind. Diejenigen, die meinem innigsten Wunsch entsprechend, selbstständig eigene Wege gehen, riskieren, dass ich ihre originelle Argumentation mit meinem weiterreichenden Wissenshorizont aushebeln kann.

Freiraum – notwendig oder zu viel?

Das ist in der Tat ungerecht. Schule muss den Freiraum bieten, selbstständig zu denken, sich aneinander zu reiben und sich so zu entwickeln. Gleichzeitig müssen wir als Lehrende aber auch Maßstäbe setzen, um gerade schwächeren Schülern eine Orientierung zu geben.

Der Zollstock, mit dem wir die Leistungen eines Schülers messen, ist oft nicht breit genug. Torpedieren zu breit aufgestellte Erwartungen den Lernprozess, weil sie die Anforderungen an die Schüler verwischen und schwammig machen? Oder brauchen wir den Freiraum für Querdenker, die manchmal auch den Zollstock in Schieflage bringen und die Welt aus den Angeln heben?

Autor

Barbara Tauber

Barbara Tauber, ehemalige Dozentin an der Euro Akademie Berlin, betreute bis August 2017 das Projekt "Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas" federführend. Sie engagiert sich für eine neue Lernkultur: Schüler gestalten aktiv und eigenverantwortlich ihren Lernprozess, Dozenten werden zu Coachs, die diesen Lernprozess unterstützen und begleiten. In diesem Blog schildert sie Erfahrungen aus ihrem pädagogischen Alltag.