Smalltalk: notwendiges Übel oder der perfekte Eisbrecher?

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Tommy ist ein charismatischer Typ, wie ihn wahrscheinlich jede*r im Bekanntenkreis hat. Egal ob Schule, Beruf oder Party, er ist immer aufgeschlossen und kann jeden problemlos in ein Gespräch verwickeln. Allerdings gibt er dabei wenig von sich preis: Die Unterhaltungen bleiben ungezwungen und oberflächlich, der klassische Smalltalk eben.

Wollen wir so sein wie Tommy? Ist Smalltalk die beste Art, ein Gespräch in Gang zu bringen, oder sollte man gleich persönlicher werden? Diese Fragen haben sich auch unsere Redakteurinnen gestellt. Da sie mal wieder nicht einer Meinung sind, finden Sie hier zwei ganz unterschiedliche Antworten – und was halten Sie von Smalltalk?


In Wahrheit mag niemand Smalltalk, meint Anna Rüppel. Deshalb sollte man sich von dem oberflächlichen Blabla lösen.

Und wie ist das Wetter bei Ihnen so? Ist ja ganz schön warm heute, oder? Das wird bestimmt wieder ein heißer Sommer, aber Regen ist schon auch wichtig für die Pflanzen, es hat lange nicht geregnet.

Driften Ihre Gedanken bei diesen Sätzen auch ganz schnell in die Ferne? Kein Wunder – Smalltalk ist einfach langweilig! Ich will über die echten Dinge sprechen, mit Leidenschaft und Herzblut, und nicht mit unverfänglichem Geplänkel bloß niemandem auf den Schlips treten.

Smalltalk liegt mir nicht

Ja, ich gebe es zu – ich kann Smalltalk nicht. Ich bin zu introvertiert und schüchtern, um einfach drauflos zu reden. Aber wenn ich warm werde und mich aus meiner Komfortzone wage, dann muss es sich auch lohnen. Warum sollte ich nur an der Oberfläche kratzen, wenn ich mein Gegenüber auch richtig kennenlernen kann? Bei Themen, die mich interessieren, fühle ich mich doch auch selbst viel wohler. Da ist es mir egal, ob es sich um „Tabuthemen“ wie Politik, Religion oder tiefe persönliche Wünsche handelt. Gespräche mit Bedeutung bleiben im Gedächtnis und sind für beide Parteien angenehmer als erzwungenes und belangloses Blabla.

„Wie geht’s?“ – „Ja, muss ja, und selbst?“

Meine Theorie (Nadine möge mich eines Besseren belehren) ist: Niemand mag Smalltalk. Doch durch die vielen flüchtigen Kontakte, die wir im Alltag haben, sind wir oft dazu gezwungen. Am schlimmsten sind die Gespräche, auf die beide Partner*innen eigentlich gar keine Lust haben. Wenn man zum Beispiel die Klassenkameradin aus der Grundschule an der Ampel trifft oder dem Zahnarzt an der Obsttheke im Supermarkt begegnet. Ignorieren ist unhöflich – also ringt man sich ein paar unverfängliche Sätze ab und beide versuchen, der Situation möglichst schnell zu entfliehen.

Ich plädiere hier für eine andere Herangehensweise: Einfach mal den Mund halten. Ein kurzes Hallo oder ein freundliches Lächeln reichen vollkommen aus. So wird niemand zu einer unangenehmen und unpersönlichen Unterhaltung gezwungen. Und wenn ich doch mit jemandem quatschen möchte, weil ich mich wirklich für die Person interessiere, dann kann ich auch die wichtigen Themen ansprechen. Warum nicht auf ein „Wie geht’s?“ mal ehrlich antworten und ein aktuelles Problem schildern? Der*die Gesprächspartner*in wird erst überrumpelt sein, sich dann aber auch öffnen – so werden aus Bekanntschaften viel schneller Freundschaften.

Das bedeutet natürlich nicht, dass ich meiner zukünftigen Chefin im Vorstellungsgespräch vom tragischen Tod meines Zwergkaninchens erzähle oder den neuen Kollegen am ersten Tag nach seinen Beziehungsproblemen ausfrage. In vielen Situationen – gerade im Beruf – muss man leider auf unverfängliche Themen zurückgreifen. Trotzdem halte ich es für wichtig, mehr Persönlichkeit und Tiefe in solche Gespräche einzustreuen, auch auf die Gefahr hin, dass man ein wenig seltsam wirkt. So bleibt man zumindest in Erinnerung und muss sich nicht verstellen. Wer das als unangenehm empfindet, kann auch einfach mehr zuhören anstatt inhaltsloses Gerede von sich zu geben – frei nach dem Motto: „Selig sind die, die nichts zu sagen haben und trotzdem schweigen“.

Nadine Elbert will sich mit Smalltalk dem Seelenstriptease ihrer Mitmenschen entziehen. Leider klappt das nicht immer.

Ich habe da so ein Gen, das mir meine Mutter vererbt hat: Wie ein Magnet ziehen wir Menschen an, die uns ihr Herz ausschütten möchten. Ganz egal, ob sie im Konzert sitzt und ihr die Sitznachbarin wie selbstverständlich vom Krebsleiden ihrer kleinen Tochter erzählt oder ihr der Paketbote an der Türschwelle vorjammert, dass sein karges Gehalt kaum ausreicht, um den Unterhalt an seine zwei Exfrauen aufzubringen. Zielgerichtet suchen sich dieses Soziopath*innen meine Mutter und mich aus, um sich ihrer Sorgen zu entledigen.

Den Höhepunkt erreichte dieses unhöfliche Gebaren während meines Studiums in Freiburg. Ich war auf dem Weg zur Hochzeit einer Freundin und plante, vor dem Standesamt Rosenblätter auf das Paar regnen zu lassen. Meinen Korb voller bunter Blütenpracht nahm eine Passantin an der Straßenbahnhaltestelle zum Anlass, mir ihre Lebensgeschichte zu schildern. Es fing noch ganz fröhlich mit ihrer Hochzeit an – dort wurden auch Rosenblätter geworfen. Von Haltestelle zu Haltestelle ging es mit ihrem Leben bergab: psychische Probleme, Überforderung mit dem ersten Kind, Affäre des Ehemannes, Scheidung, Trennung vom Kind, das zu einer Pflegefamilie kam, Selbstmordversuch… Ich war ganz froh, in der Stadtmitte aussteigen zu können und so der Geschichte, in die ich unwillentlich verwickelt wurde, zu entkommen. Oft reicht ein einzelnes Stichwort, um in unserem Gegenüber einen wahren Wortschwall auszulösen. Aber weder meine Mutter noch ich haben Lust, ständig als seelischer Mülleimer missbraucht zu werden. Haben diese Menschen denn keine guten Therapeut*innen – oder wenigstens eine*n Friseur*in?

Belangloses, bitte

Während es völlig okay ist, während des Haareschneidens und unter der Trockenhaube ausgiebig seinen Beziehungsstatus öffentlich zu diskutieren, gibt es Orte, an denen ich persönlich einfach lieber gepflegten Smalltalk betreibe. Wenn ich mit Unbekannten dicht gedrängt im Hotelaufzug stehe, ist mir einfach nicht nach tiefsinnigen Philosophieren zumute. Ähnlich geht es mir bei meinem Frauenarzt. Neben den medizinischen Belangen mag ich eher Belangloses besprechen. Die Atmosphäre dort ist mir schon angespannt genug.

Smalltalk als Eisbrecher – mit Option auf mehr

Warum müssen manche Menschen ständig mit der Tür ins Haus fallen? Und weshalb fallen Sie immer in mein Haus? Um mich vor den ungebetenen Gästen zu schützen, verriegele ich meine seelische Haustüre meistens doppelt und dreifach. Versuche über das Wetter oder das nächste Urlaubsziel zu parlieren. Auch wenn ich dadurch tiefergehende Gespräche abwiegeln will, dient der Smalltalk hin und wieder dazu, das Eis zwischen mir und meinem*r Gesprächspartner*in zu brechen. Allerdings nur bei denjenigen, die mir sympathisch sind. In diesen Fällen ist der Smalltalk ein Zwischenstadium, in dem man sich erstmal gegenseitig beschnuppern kann – ohne eine Verpflichtung einzugehen, mehr sagen oder mehr hören zu müssen. Denn in diesem Punkt hat meine Kollegin Anna vollkommen Recht: „Selig sind die, die nichts zu sagen haben und trotzdem schweigen“.

Bildquelle Beitragsbild: ©Viktoria Kurpas /shutterstock.com

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