„Sei du selbst!“ Aber wer bin ich? Und was heißt hier eigentlich authentisch?

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Wenn man eine Allergie gegen Worte haben könnte, wäre ein allergischer Schock bei mir schon längst eingetreten. Das Wort „authentisch“ lauert überall – und es regt mich auf. Warum? Weil wir eben keine Faultiere sind, die alleine am Baum rumhängen, egal, was um sie herum passiert. Im Job oder unter Freunden – wir sind ein Teil unserer Umgebung. Es kribbelt in meinen Fingern, wenn ich mir vorstelle, auch nur eine Woche ganz und gar „authentisch“ zu sein. Dann nämlich stehen meiner Umgebung wilde Zeiten bevor.

Damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen: Sich ehrlich und aufrichtig für sich selbst, für andere und eine Sache einzusetzen, ist absolut erstrebenswert. Keiner möchte Menschen um sich herum haben, die anderen irgendetwas vorspielen. Auch seine Stärken und Schwächen zu kennen und sich Aufgaben zu suchen, die den eigenen Talenten entsprechen, ist die Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Trotzdem ist mir das Wort „authentisch“ ein Dorn im Auge, weil es so viel mehr will und doch weniger beinhaltet. Warum, wird sich im Laufe des Beitrags noch klären.

Völlig authentisches Chaos

Jeder Mensch hat bestimmte Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale, die ihn zu dem machen, was er ist. Hinzukommen Erfahrungen, die man im Laufe des Lebens gesammelt hat und das Umfeld, in dem man lebt. Wenn Sie nicht gerade als Einsiedler in einer Höhle leben, sind Sie also immer im Austausch mit Menschen.

Zu unserer vielschichtigen Persönlichkeit und den Einflüssen von außen kommen dann noch unsere Emotionen, die von der Tagesform, aber auch von der Situation abhängen. Zu jeder Zeit authentisch zu sein – also völlig im Einklang mit sich selbst – würde bedeuten, immer sofort zu wissen, wie wir zu einem Thema stehen. Das würde auch heißen, dass wir unseren momentanen Emotionen freien Raum geben sollen – egal, ob wir gerade verdammt schlecht drauf sind oder die ganze Welt umarmen könnten. Wir muten uns dem anderen einfach ganz und gar zu. Und da wir alle authentisch sein wollen, machen das die Menschen um uns herum genauso. Spannende Vorstellung, oder?

Außerdem hieße es, absolut ehrlich zu sein – in jeder Situation. Für jemanden, der finanziell ausgesorgt hat, ist das ohne Probleme auch im Job möglich. Für alle anderen heißt es immer wieder: diplomatisch sein. Auch in Freundschaften kann man nicht immer einfach mit der Tür ins Haus fallen und dem anderen alles gnadenlos vor die Füße knallen. Vielleicht, weil der andere die Wahrheit (noch) gar nicht ertragen kann. Rücksicht und Empathie kommen im Dunstkreis der Authentizität nämlich gar nicht vor. Es geht um uns selbst, um nichts anderes.

Was ist denn nun Authentizität?

Das Wort „authentisch“ kommt aus dem griechischen und heißt wörtlich übersetzt „echt“. Der Gebrauch des Begriffes bezog sich ursprünglich auf die Echtheit von Urkunden und hatte mit menschlichem Verhalten erstmal nichts zu tun.

Authentizität ist kein Wert an sich, sondern eine Wahrnehmung – wie wir von anderen gesehen werden und ob wir uns mit uns selbst im Einklang fühlen. Die Sozialpsychologen Michael H. Kernis und Brian M. Goldman nennen vier Voraussetzungen, unter denen sich ein Mensch als authentisch erlebt

Bewusstsein – Ein authentischer Mensch kennt seine Stärken und Schwächen ebenso wie seine Gefühle und Motive für bestimmte Verhaltensweisen. Dies setzt Selbsterkenntnis durch Selbst- und Fremdwahrnehmung und Selbstreflexion voraus, um sich seiner selbst und seines Handelns bewusst zu werden.

Ehrlichkeit – Hierzu gehört, der ungeschminkten Realität, das eigene Selbst betreffend, ins Auge zu blicken und auch unangenehme Rückmeldungen zu akzeptieren.

Konsequenz – Ein authentischer Mensch handelt nach seinen Werten und Überzeugungen. Das gilt für die gesetzten Prioritäten und auch für den Fall, dass er sich dadurch Nachteile einhandelt. Kaum etwas wirkt verlogener und unechter als ein Opportunist.

Aufrichtigkeit – Authentizität beinhaltet die Bereitschaft, sein wahres Selbst, mit seinen positiven wie negativen Seiten, in sozialen Beziehungen offen zu zeigen und nicht zu verleugnen.

(Quelle: Wikipedia, 23. Juli 2019)

Keine Frage, alle genannten Bedingungen sind erstrebenswert und gut. Sich nicht zu verbiegen für andere, zu seiner Meinung zu stehen und sich selbst so anzunehmen und zu zeigen, wie man ist. Das erfordert ein waches Bewusstsein, Mut und lebenslange Selbstreflexion.

Authentizität im Job

Ja, auch im Job sollen wir authentisch sein. Zumindest teilweise, heißt es in Berichten, die sich mit dem Thema beschäftigen. Das Problem dabei: Ein bisschen authentisch gibt es nicht. Dafür ein paar Aspekte, mit denen Sie vermitteln, dass Sie zu sich selbst stehen und man sich auf Sie verlassen kann:

  • Sie haben Überzeugungen und Werte, die Ihr Handeln bestimmen –
    auch wenn’s mal ungemütlich wird.
  • Sie sind selbstreflektiert – kennen Ihre Stärken und Schwächen und hinterfragen sich selbst.
  • Sie haben ein gutes Selbstwertgefühl –mögen sich so, wie Sie sind und empfinden sich als wertvollen Menschen.

Müssen Sie fünf Tage in der Woche eine Rolle spielen, um von Kollegen und Chef anerkannt zu werden, sollten Sie sich eine neue Aufgabe in einem Unternehmen suchen, das besser zu Ihren Werten und Ansichten passt.

Egoist? Macht nichts – Hauptsache authentisch!

Doch authentisch zu sein verbinden wir immer mit etwas durchweg Positivem. Das ist es aber nicht. Denn ich kann verdammt gut ein egoistischer Affe sein, den es ganz und gar nicht schert, was andere Menschen denken und fühlen. Und der komplett mit sich im Einklang ist. Da ist mir der zurückhaltende Zweifler, der ab und zu mal aus Rücksicht auf andere sein „Authentischsein“ im Zaum hält, ehrlich gesagt lieber.

Sich selbst treu bleiben – immer wieder anders

Seinen Werten –
von A wie Aufgeschlossenheit bis Z wie Zuverlässigkeit – treu zu bleiben, egal, wie angesagt sie gerade sind, ist das Ziel, denn sie bestimmen die Fahrtrichtung im Leben. Denn wir alle sind ziemlich komplexe Lebewesen, die jeden Tag aufs Neue in völlig unterschiedliche Situationen kommen und auf ganz verschiedene Menschen stoßen. Dann zeigt sich immer ein anderer Teil von uns selbst.

Oder um es mit Oscar Wilde zu sagen: „Wir sind uns niemals so treu wie in den Augenblicken der Inkonsequenz.“

Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.