„Zu jeder Zeit“ – ein berührender Film über die Ausbildung in der Pflege

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Jeden Moment kann das Leben sich um 180 Grad drehen. Wenn man krank wird, ändert sich plötzlich alles. Das nächste Meeting kann warten, die anstehende Prüfung verliert an Bedeutung. Vorbereiten kann man sich darauf nicht. Der Kinofilm „Zu jeder Zeit“ des französischen Kultregisseurs Nicolas Philibert taucht ein in den Alltag von Auszubildenden in der Pflege. Direkt und klar. Die Zuschauer an der Hand gibt er den angehenden Pflegekräften das, was sie sich im Alltag so sehr wünschen: Zeit.

Wie schön, wenn Krankenschwester Britta nach wiederkehrenden Dramen den Oberarzt der Chirurgie Dr.Herzig doch noch bezirzen kann. Oder die junge Ärztin mit wehendem Mantel über Krankenhausflure schwebt und alle rettet, die nicht zu retten sind. Krankenhausserien flimmern, gemeinsam mit Krimis, tagtäglich zu allen Sendezeiten über unsere Bildschirme. Mit der Wirklichkeit hat das alles nicht viel zu tun.

An einen ganz anderen, realen Film über die Arbeit in der Pflege hat sich der französische Kultregisseur Nicolas Philibert mit seinem neuesten Werk „Zu jeder Zeit“ gewagt. Mit liebevollem, offenem Blick begleitet er Auszubildende am Hopital de la Croix Saint-Simon in Montreuil in Untersuchungszimmer, Operationssäle und Klassenräume.

Pflege ist alles – echte Menschen und pure Gefühle

Der Film zeigt alles – die schönen und die ernsten Seiten des Pflegeberufes, Lachen und Weinen, Freude und Leid. Man fühlt sich mittendrin, im Alltag der jungen Pflegekräfte und ihrer Lehrer. An keiner Stelle ist der Zuschauer Voyeur – alles ist selbstverständlich und völlig natürlich.

Philibert verzichtet komplett auf Filmmusik. Stimmungen entstehen aus der Situation heraus, alleine durch die Protagonisten. Die Darsteller bleiben anonym. Es geht also nicht um einzelne Personen. Alle Mitwirkenden werden in diesem Film zu Hauptdarstellern – Auszubildende, Lehrer und Patienten.

Das Geschenk des Regisseurs: Zeit und Aufmerksamkeit

Der Zuschauer hat Zeit, die Kameraführung ist entspannt. Das dürfte wohl der größte Gegensatz im Vergleich zum Alltag in Krankenhäusern und Pflegeheimen sein. In seinem Film gibt er den zukünftigen Pflegekräften die Zeit und Aufmerksamkeit, die später im Alltag oft fehlt. Die Auszubildenden genießen quasi noch Welpenschutz. Sie dürften lernen, Fehler machen, reflektieren. Sie haben sichtlich Freude beim ersten Mal Blutdruck messen, beim verabreichen einer Spritze oder beim Aufschneiden eines Gipses.

Immer wieder andere Orte und Themen vor der Linse

Philibert erhält die Spannung über die gesamten 105 Minuten hinweg. Gekonnt wechselt er immer wieder Orte und Themen. Mal sitzen Sie als Zuschauer im Klassenraum und erfahren etwas über Medikamente und den wachsamen Umgang mit Pharmafirmen. Später im Film sind Sie gemeinsam mit den Auszubildenden ganz nah am Patienten dran. Humorvolle, ängstliche, hoffnungsvolle Menschen, die dankbar sind für medizinische Hilfe, ein freundliches Wort, eine kleine Berührung.

Haben Sie zugelassen, zu weinen?

„Haben Sie zugelassen, zu weinen?“ Auch bei tiefgehenden Gesprächen über eigene Erfahrungen und Gefühle, Überforderungen und Prüfungsprobleme machen Regisseur und Darsteller die Tür nicht zu. Die Reflexion der Auszubildenden gemeinsam mit ihrem Betreuer wirkt vertraut, auf Augenhöhe. Sie hören geduldig zu, haken nach, fassen zusammen, geben Tipps. Hier erfährt man, was die jungen Pflegekräfte wirklich bewegt, mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben und wie sich selbst einschätzen. Erstaunlich ist die Offenheit, mit der sie über ihre vermeintlichen Schwächen und Gefühle sprechen, sich ihrem Betreuer anvertrauen.

„Zu jeder Zeit“ überschreitet Grenzen. Er erlaubt dem Zuschauer Einblicke in Räume und Innenleben, die ihm sonst verwehrt blieben. Ein spannender Film, der zeigt, wie vielfältig, intensiv, humorvoll, ernst und heiter die Pflege ist.

Details zum Film:

Originaltitel: De chaque instant
Produktion: Frankreich 2018
Laufzeit: 105 Min.
FSK: ab 6 Jahren
Sprache: Französisch
Untertitel: Deutsch

Kinostart: 2. Mai 2019
DVD-/VOD-Veröffentlichung:
8. November 2019


Autor

Tanja Höfling

Von Juli 2017 bis Juli 2022 informierte die ehemalige Online-Redakteurin des Euro Akademie Magazins regelmäßig über Aktuelles und Wissenswertes zu den Themen Ausbildung, Studium und Beruf.