Colourism: Wenn unbedeutende Äußerlichkeiten eine Rolle spielen

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Schon mal von Colourism (oder dem eingedeutschten Begriff „Kolorismus“) gehört? Nein? Dann kannst du dich glücklich schätzen und gehörst wahrscheinlich nicht zu den 48 Prozent der Schwarzen Menschen in Deutschland, die entsprechend eigener Angaben in den Jahren von 2013 bis 2018 rassistische Anfeindungen erfahren haben.

Laut der repräsentativen Studie  „Being Black in the EU“ der EU-Grundrechteagentur von 2018 haben People of Colour aufgrund ihrer Hautfarbe mit unterschiedlichen Formen von Rassismus zu kämpfen: Sie leiden unter Alltagsrassismus, werden bei der Wohnungssuche benachteiligt, rangieren im Bewerbungsprozess um die guten Jobs hinter ihren hellhäutigen Konkurrent*innen und sind immer wieder Racial Profiling seitens Polizeibeamt*innen ausgesetzt. 

Definition

Der Begriff Colourism wurde von der US-Autorin, Aktivistin und Pulitzer-Preis-Gewinnerin Alice Walker geprägt (weltweit bekannt in erster Linie für ihren Roman „Die Farbe Lila“). In ihrem Essayband „In Search Of Our Mothers’ Gardens“, der 1983 erschien, benannte sie das Phänomen Colourism erstmals. Ihre These: Colourism hindere die Schwarze Gemeinschaft am Vorankommen – genauso wie Kolonialismus, Sexismus und Rassismus. Doch was ist der Unterschied zwischen Rassismus und Colourism? Walker definiert es so: Colourism ist die „vorurteilsbehaftete oder bevorzugte Behandlung von Menschen gleicher Rasse allein aufgrund ihrer Hautfarbe“. Das bedeutet, dass man den Wert eines Menschen an Äußerlichkeiten wie der Pigmentierung seiner Haut festmacht. Auch innerhalb der Schwarzen Community findet Colourism statt: Je dunkler die Haut einer Person ist, desto mehr hat sie mit Diskriminierung zu kämpfen.

Kunstfreiheit & Blackfacing 

In Artikel 5, Absatz 3 des Deutschen Grundgesetzes steht: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Doch wie frei darf Kunst sein? „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“, heißt es weiter. Das bedeutet, der Schutz künstlerischer Ausdrucksformen endet beispielsweise dort, wo die Kunst die Menschenwürde verletzt. Denn hier kollidiert die Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2, Absatz 1. Ein Paradebeispiel einer solchen Verletzung des Persönlichkeitsrechts war das sogenannte „Blackfacing“, das in US-amerikanischen Theatern im 19. Jahrhundert praktiziert wurde. In den damals beliebten „Minstrel Shows“ wurde das Stereotyp des fröhlichen, singenden und naiven Sklaven, der treu ergeben seinem weißen Herrn dient, dargestellt und verbreitet. Verkörpert wurden diese Rollen von weißen Schauspielern, die sich zu diesem Zweck ihre Gesichter schuhcremeschwarz schminkten und überzeichnete dicke rote Lippen hatten. Weiterhin imitierten die Schauspieler in diesen Musik- und Unterhaltungsveranstaltungen Sprache, Tanz, Gestik und Mimik der schwarzen Sklaven. Während in den Vereinigten Staaten die Minstrel-Shows Anfang des 20. Jahrhunderts als rassistisch erkannt und abgeschafft wurden, gab es in Deutschland noch im Jahr 2012 eine Debatte um Werbeplakat des Berliner Schlosspark-Theaters für eine anstehende Premiere, auf dem ein weißer Schauspieler mit schwarz bemaltem Gesicht, Hals, schwarzen Händen und weit aufgerissenen Augen abgebildet war. 

Westlich geprägtes Schönheitsideal 

Schönheitsideale verändern sich über die Jahre und unterscheiden sich je nach Kulturkreis. So freuten sich die Frauen in Deutschland zur Zeit des Barocks über eine fülligere Rubensfigur und einen hellen Teint. Die blasse Haut war der Beweis dafür, dass sie nicht auf dem Feld arbeiten mussten. Erst in den Wirtschaftswunderjahren, die den Massentourismus am Mittelmeer ermöglichten, galt gebräunte Haut plötzlich als schick und Zeichen des materiellen Wohlstandes. Da Black People of Colour (BPoC) auch heute noch benachteiligt und angegriffen werden, sollte die Haut jedoch nicht zu dunkel sein. Viele Menschen, die wir als afrikanisch lesen, versuchen deshalb, mit Hautaufheller ihr vermeintliches Stigma zu verbergen. Durch Medien und Werbung hat das westliche Schönheitsideal bereits auf der ganzen Welt Raum eingenommen, so dass beispielsweise auch asiatische Frauen ihm mit Augenlidkorrekturen nacheifern. Auch die Kosmetikindustrie richtet sich nach diesem Ideal aus, weshalb Marken mit Beauty-Produkten für dunkle Haut sich erst ganz langsam auf den Markt trauen. Nebenbei bemerkt: Hautfarbene Buntstifte, die die gesamte Palette menschlicher Hautnuancen abdecken, gibt es auch erst seit ein paar Jahren. 

Vorurteile & Privilegien der „Weißen“ 

Die „Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2021 erfasste als Reaktion auf die Tötung George Floyd im Mai 2020 erstmals Einstellungen gegenüber Schwarzen Menschen in Deutschland. Danach stimmten 10,5 Prozent der Befragten der Aussage zu, Schwarze Menschen sollten dankbar sein, in Deutschland leben zu dürfen, weitere 13,3 Prozent äußerten sich mit „teils/teils“ eher zustimmend als ablehnend. Neun Prozent gaben an, starke oder überwiegende Antipathie gegenüber Schwarzen Menschen zu haben. Mit Beantwortung der Frage „Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt“ befürworteten insgesamt 16 Prozent eine Machthierarchie nach Hautfarbe komplett bzw. teilweise. Angesichts der privilegierten Lage der weißen Mehrheitsbevölkerung in Deutschland sollten uns die Ergebnisse der Studie stutzig machen. Auch wenn wir bisher dachten, wir hätten den Rassismus des vergangenen Jahrzehnts überwunden, ist er (wieder) erschreckend präsent. In diesem Magazinartikel gibt es praktische Tipps, wie wir uns solidarisch zeigen können und uns gemeinsam mit der BPoC-Community für ein diskriminierungsfreies Deutschland einsetzen können, in dem unterschiedliche Menschen in Frieden zusammenleben. Im Online-Seminar zu Diversity an den Euro Akademiene in Leipzig und Zwickau können Sie Ihren Blick schulen und sich persönlich zu einem weltoffenen und toleranten Menschen weiterentwickeln.

Bildquelle Beitragsbild: © Maria Siubar/shutterstock.com

Autor

Nadine Elbert

Seit August 2019 schreibt Nadine Elbert hier im Wechsel über Themen aus den Bereichen Ausbildung, Studium und Beruf – und schöpft dabei auch aus ihrem reichhaltigen persönlichen Erfahrungsschatz.