Luftschlösser für die Praxis

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In der Erzieherausbildung, in der ich unterrichte, verdrehen die Schüler manchmal die Augen und stöhnen. Genervt erklären sie, dass das, was ich unterrichte, ja alles ganz schön klänge, aber die Praxis ganz anders aussähe: Da gelte Zeitdruck, da könne man nicht stundenlang im Modellcharakter Kinder betreuen, da regiere der Pragmatismus und der sähe weit weniger idyllisch aus.

Stimmt.  Was das angeht, haben die Schüler recht. Der Alltag in den Kitas sieht häufig – aber nicht immer! – anders aus. Ich bin viel in Kitas unterwegs und ich sehe Kitas, die für mich einen unerschöpflichen Reichtum an Ideen und guten Lösungen vorhalten. Ich sehe aber auch Einrichtungen, wo das Personal überfordert ist und die Bedingungen nicht den heutigen Anforderungen entsprechen – und dennoch stehen dahinter Erzieher mit viel Können und viel Liebe zum Beruf und zu den Kindern.

Wie praxiskonform muss Unterricht sein?

Die Schule ist nur ein Vehikel auf dem Weg, das Leben und die Praxis zu meistern. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen, Luftschlösser zu bauen. Auch, weil ich weiß, dass es die gute Praxis gibt und sie nicht nur „naive Malerei“ aus dem Unterricht ist.

Ich verstehe meine Arbeit als Lehrerin als Mittlerin zwischen Praxis und Forschung. Ich nehme das auf, was in der Theorie, an Universitäten, Fachhochschulen und Instituten erforscht wurde. In mühseliger Kleinarbeit sind an diesen Orten Experimente gelaufen, Forschungen geleistet und Gedanken entwickelt worden, die versuchen, Konflikte und Probleme zu lösen – Konflikte und Probleme, die aus dem Leben gegriffen sind.

Vision einer besseren Pädagogik

Und auch ich mache mir täglich Gedanken darüber, wie wir zu einer noch besseren Pädagogik für Kinder und Jugendliche kommen können. Dazu gehört auch, sich den Problemen von Zeitdruck, Überlastung der Erzieher und überalterten Strukturen zu stellen. Doch empfinde ich es in der Tat als meine Aufgabe, auch Luftschlösser zu bauen, Theorien zu vermitteln, die zu einer besseren Pädagogik führen.

Und genau an diesem Punkt fühle ich mich mit den Schülern wieder in einem Boot: Auch sie sind Idealisten für eine bessere Welt. Und sie würden sicherlich noch mehr stöhnen, wenn ich ihnen die Praxis – ohne reale Lösungsmöglichkeiten für ihre Konflikte  ̶  einfach wiederspiegeln würde.

Damit hätte die Schule ihren eigentlichen Zweck verfehlt.

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Autor

Barbara Tauber

Barbara Tauber, ehemalige Dozentin an der Euro Akademie Berlin, betreute bis August 2017 das Projekt "Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas" federführend. Sie engagiert sich für eine neue Lernkultur: Schüler gestalten aktiv und eigenverantwortlich ihren Lernprozess, Dozenten werden zu Coachs, die diesen Lernprozess unterstützen und begleiten. In diesem Blog schildert sie Erfahrungen aus ihrem pädagogischen Alltag.