Sprachmittler*innen und Künstliche Intelligenz – wer zieht den Kürzeren?

0

Eine maschinelle Übersetzung ist für Leserinnen wie seichte Fahrstuhlmusik, die das Ohr, nicht aber das Herz ihrer Hörer*innen erreicht. Beiden fehlt die Seele.

In einer Sache sind wir uns alle einig: Künstliche Intelligenz hat die Welt der Sprache schon jetzt revolutioniert. Wer von uns hat noch nicht schnell im Urlaub auf dem Handy Google Translate bemüht, um nach dem Weg zu fragen, wenn man die Landessprache nicht beherrschte? Oder das Online-Tool Deepl genutzt, um längere Texte schneller zu übersetzen – auch wenn die Zielsprache bekannt war? Steht nicht ein Großteil von uns schon in täglichem Kontakt mit Siri oder Alexa?

Zugegeben: All diese kleinen Hilfsmittel sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber wie verändert KI den Alltag von Menschen, die sich beruflich mit Sprachen beschäftigen? Sind die Jobs von Fremdsprachenkorrespondent*innen oder Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen bedroht, angesichts von ChatGTP, Neuroflash und Co.? Wir wagen eine differenzierte Betrachtung.

Mit dem Fortschritt gehen

Wenn wir ganz ehrlich sind, stellen wir schnell fest, dass Fortschritt nichts Neues ist. Immerzu werden neue Technologien eingeführt, und auch in der Branche der Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen sowie Fremdsprachenkorrespondent*innen gehören technische Veränderungen zum täglichen Brot. Von daher sind diese es gewohnt, mit den Entwicklungen Schritt zu halten. Schon lange profitieren sie sogar von technischen Hilfsmitteln, die ihnen die Arbeit erleichtern. CAT-Tools („Computer Assisted Translation“) dienen als Art erweitertes Gedächtnis von Übersetzer*innen, mit dem sie auf bereits ausgearbeitete Formulierungen zurückgreifen können. Ein bekanntes Programm ist Studio 2017, aber auch Multiterm wird gerne zur Terminologieverwaltung genutzt. Die Zeiten, in denen man auf Karteikarten oder handgeschriebene Vokabellisten zurückgriff, sind definitiv vorbei! Das Open Source-Programm LF Aligner vergleicht Texte in verschiedenen Sprachen, was sich ebenfalls sehr hilfreich auf die Arbeit von Übersetzter*innen auswirken kann. Da der Job von Übersetzer*innen sich allerdings nicht auf das Austauschen von Vokabeln von der Ausgangs- in die Zielsprache beschränkt, ist oft auch zusätzliches Fachwissen oder technisches Knowhow gefragt. Das Programm Evernote hilft beim Management dieses Zusatzwissens. Und ein Tool kann wie vielen anderen auch Übersetzer*innen das ewige Tippen erleichtern: eine Spracherkennungssoftware. Wie man sieht, greifen Sprachmittler*innen bei ihrer Arbeit schon heute auf viele kleine technische Werkzeuge zurück, um die Qualität Ihrer Arbeit zu garantieren. Und sicher möchten sie keines davon missen.

Vorteile von KI beim Übersetzen und Dolmetschen

Künstliche Intelligenz ist heutzutage bereits ein wesentlicher Bestandteil vieler Branchen: Sei es in der Finanzwelt, in der Medizin, in der Landwirtschaft, im Bereich Telekommunikation oder einfach in Smart-Homes – die Liste, wo wir Menschen uns die Unterstützung von Maschinenintelligenz zunutze machen, könnte noch lange fortgeführt werden. Wieso sollte diese Entwicklung also vor dem Bereich Übersetzen, Dolmetschen und fremdsprachiger Korrespondenz Halt machen? Und weiter gefragt: Wenn die Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz schon einmal da sind, wie können wir sie sinnvoll für uns nutzen? In einer Welt, in der globale Interaktionen an der Tagesordnung stehen und mehr Menschen als jemals zuvor auf internationaler Ebene kommunizieren, wird eine große Menge an Übersetzungen benötigt – sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form.

Die Nachfrage nach Übersetzungen und Dolmetscherleistungen ist also um ein Vielfaches höher als das Angebot.

Im Zuge der Globalisierung ist es also smart, KI-gesteuerte Tools zu haben, die Übersetzungen in einem Bruchteil der Zeit durchführen können und teilweise präzisere Vorschläge machen. Jedoch ohne Sprachmittler*innen in Person kommt keine differenzierte und hochqualitative Übersetzung aus: Denn selbstverständlich müssen die Vorschläge der Übersetzungsmaschinen noch von Expert*innen geprüft und auch angepasst werden. Oft stehen die kreativen Übersetzungsvorschläge der fach- und kundenspezifischen Terminologie gegenüber, an der festgehalten werden soll. Hier kommen die Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen ins Spiel, die den finalen Feinschliff vornehmen müssen.
Neben der Zeitersparnis beim Übersetzen bringen die Übersetzungstools, die mit KI betrieben werden, einen weiteren Vorteil mit sich: Sprachen lassen sich dadurch einfacher lernen. Indem man versucht, die Übersetzungen der Programme nachzuvollziehen, kann man sich als Sprachmittler*in eine neue Fremdsprache aneignen. So lässt sich das Sprachenportfolio spielerisch erweitern. Die Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen tauchen mit Ihrem Wissen nicht nur in die Tiefe einer Sprache ein, sondern stellen sich den Kund*innen gegenüber auch in der Breite auf.

Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit gefragt

Trotz der Vorteile maschinengetriebener Übersetzungen sind Menschen aus dem Bereich Übersetzen und Dolmetschen nicht wegzudenken.

Unternehmen haben erkannt, dass maschinelle Lernsysteme niemals in der Lage sein werden, die sprachliche Sensibilität eines Menschen mit jahrelanger Erfahrung im Umgang mit verschiedenen Sprachen wiederzugeben.

Das hat – ganz im Gegensatz zu anderslautenden Prophezeiungen – zu mehr Wertschätzung für professionelles Dolmetschen geführt. So müssen beispielsweise bei literarischen Texten kulturelle Nuancierungen und sprachliche Feinheiten berücksichtig werden. Das können Maschinen einfach nicht leisten. Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen sind nicht nur bi- oder multilingual – sie vermitteln nicht nur zwischen zwei oder mehreren Sprachen, sondern zwischen den verschiedenen Kulturen. Als Mediator spielen sie bei geschäftlichen Verhandlungen eine wichtige Rolle. Diese Rolle kann keine Maschine übernehmen.
Als historisches Beispiel lassen sich die Nürnberger Prozesse zur Aufarbeitung der furchtbaren Verbrechen des Zweiten Weltkriegs anführen. Diese Gerichtsverfahren, bei dem zwischen vier Sprachen vermittelt wurde, wären ohne die Berufssparte der Übersetzer*innen und Dolmetscher*innen schlicht nicht möglich gewesen. Luisa Schwarze, Schülerin der Euro Akademie Hannover im Ausbildungs- und Studienprogramm International Business Communication, hat ihre Facharbeit zu diesem Thema geschrieben. Sie wollte mit ihrer Arbeit zeigen, „dass Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen nicht nur Maschinen sind, die einfach das Gesagte in einer anderen Sprache wiedergeben, sondern dass ihre Gefühle und Betroffenheit einer Übersetzung erst Menschlichkeit und damit eine besondere Wirksamkeit und historische Bedeutung verleihen.“

Aussichtsreiche Jobperspektiven

Ausgebildeten Dolmetscher*innen und Übersetzer*innen wie auch Fremdsprachekorrespondent*innen stehen grundsätzlich alle Wege in Handel, Industrie oder öffentlichen Dienst offen. Sie sind Generalist*innen mit dem Schwerpunkt Wirtschaft in einem Bereich, der durch die internationalen Lieferketten immer bedeutsamer wird, ohne auf eine bestimmte Branche festgelegt zu sein. Es besteht die Möglichkeit für sie, direkt in ihrem Ausbildungsberuf dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen oder auf Ihre Qualifikation aufzubauen und diese bei Ihrem Arbeitgeber als wertvolle Zusatzqualifikation einzubringen.

Fazit: Die Stifte sind gleich lang

Unabhängig davon, ob man nun Profi oder Anfänger*in im Bereich Übersetzen ist: KI-Systeme werden in Zukunft unverzichtbar sein. Es geht nicht darum, ob eine Instanz die andere ersetzt. Wir Menschen sollten offen sein gegenüber den technischen Fortschritten und diese zu unserem Vorteil nutzen. Mit einer moderneren Technologie an Bord können Übersetzer*nnen und Dolmetscher*innen (ebenso wie Vertreter*innen anderer Branchen) ihr Potenzial entfalten und gleichzeitig einen Mehrwert für ihre Kundschaft bieten – wodurch letztlich alle gewinnen. Zum Abschluss unserer Betrachtung kommen wir also zu dem Schluss, dass niemand den Kürzeren zieht – denn: Beide Stifte sind gleich lang und bedingen einander.

Bildquelle Beitragsbild: © ArtemisDiana/shutterstock.com

Autor

Nadine Elbert

Seit August 2019 schreibt Nadine Elbert hier im Wechsel über Themen aus den Bereichen Ausbildung, Studium und Beruf – und schöpft dabei auch aus ihrem reichhaltigen persönlichen Erfahrungsschatz.